Kinderpsychologe schlägt Alarm: "Glücksspiel wird glorifiziert".
Poker, Blackjack, Roulette und Co. haben schon lange ihr verruchtes Image verloren. Ins Casino zu gehen gilt heute nachgerade als chic. Auch Zocken im Internet ist mehr als salonfähig - vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Viele von ihnen spielen nicht zu zum Spaß, sondern um vor ihren Problemen zu fliehen. Sieben von 100 männlichen Heranwachsenden gelten als spielsuchtgefährdet, sagt der kanadische Kinderpsychologe Jeffrey Derevensky. Eltern haben davon meist keine Ahnung - Derevensky spricht von einer "versteckten Abhängigkeit".
"Glücksspiel ist in unserer Gesellschaft normal geworden und wird glorifiziert", warnte Derevensky bei der 9. "Responsible Gaming Academy" der Casinos Austria in Wien. Neuerdings wollten viele Jugendliche ernsthaft professionelle Pokerspieler werden. "In den Medien werden immer nur die Gewinner gezeigt, nie die Verlierer", gab Derevenksy zu bedenken. Nicht selten schmissen Vielspieler die Schule. In Kanada lernten sogar schon Zehnjährige in eigenen Sommercamps, wie man richtig "Texas Hold'em", eine Pokervariante, spielt.
Besonders große Sorgen machen dem Wissenschafter, der seit vielen Jahren an der McGill University in Montreal zum Thema Spielsucht bei Jugendlichen forscht, soziale Netzwerke wie Facebook. Es komme hier zu einer regelrechten "Invasion" von Glücksspielangeboten. Auf Facebook hat "Texas Hold'em Poker" mit momentan fast 59 Millionen "Likes" mittlerweile mehr Fans als die Sängerin Lady Gaga (über 49 Millionen) und die beliebte Fernsehserie Family Guy (43 Millionen).
Bei Kindern und Teenagern kommt das Gambling im Netz recht harmlos daher. "Es geht bei ihnen nicht um die Geldsummen, die sie verspielen, sondern um die Zeit", so Derevensky. "Junge Frauen berichten uns, sie haben deshalb zu pokern angefangen, weil auch ihre männlichen Freunde ständig zocken und sie sie sonst gar nicht mehr sehen würden."
Eltern sind sich des Problems laut Dervensky überhaupt nicht bewusst. "Sie klären ihre Kinder über Drogen, Alkohol und ungeschützten Geschlechtsverkehr auf, aber Glücksspiel haben sie nicht am Radar", so Derevensky. Sowohl Mütter und Väter als auch Schulen und Regierungen hätten hier großen Nachholbedarf. Auch die Anbieter sieht er in der Pflicht.
Bei einer Studie, für die 1.327 Jugendliche befragt wurden, hätten fast acht von zehn jungen Erwachsenen angegeben, im vergangenen Jahr an einem Glücksspiel teilgenommen zu haben. Ein Fünftel zocke mindestens einmal in der Woche.
Alarmierend ist dabei vor allem die Zahl jener, für die Pokern mehr als nur Spaß ist: 2,1 Prozent sind spielsüchtig (4,1 Prozent der männlichen und 0,7 Prozent der weiblichen Befragten). Zum Vergleich: In der erwachsenen Bevölkerung gelten 0,5 bis ein Prozent als "pathologische Spieler". Spielsuchtgefährdet sind bei den Heranwachsenden Derevensky zufolge gar 4,2 Prozent (7,1 Prozent der jungen Männer und zwei Prozent der jungen Frauen). "Das hat auch für ihr späteres Leben verheerende Folgen", so der Experte. "Ihre Eltern vertrauen ihnen nicht mehr, sie verlieren Beziehungen, brauchen ihr ganzes Geld für Poker."
Wobei Derevensky darauf hinweist, dass es einen starken Zusammenhang zwischen Vernachlässigung oder Misshandlung in der Kindheit und pathologischem Spielverhalten gibt. Jene, die als Kinder schlecht behandelt wurden, entwickelten viel eher eine Spielsucht als Jugendliche, die in einer gesunden Umgebung aufgewachsen sind. "Während er spielt, muss ein Spieler nicht über seine Probleme nachdenken", erläuterte der Psychologe. 10,9 Prozent der Risikospieler und 14,8 Prozent der Spielsüchtigen, die von ihren Eltern schlecht behandelt wurden, haben im täglichen Leben mit den Folgen des Missbrauchs oder der Vernachlässigung als Kinder oder Jugendliche zu kämpfen.
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