Mit einem einzigartigen Hightech-Gerät machen Heidelberger Krebsärzte künftig Jagd auf seltene Tumore. Die 119 Millionen Euro teure Ionenstrahl-Beschleunigeranlage beschießt Karzinome punktgenau mit schnellen Teilchen - statt wie gewöhnlich mit Röntgenstrahlung.
Am 2. November wird das Hightech-Wunder des Heidelberger Universitätsklinikums offiziell in Betrieb genommen. Künftig können bis zu 1.300 Patienten pro Jahr behandelt werden. Die Anlage zur Krebsbekämpfung hat mit drei Megawatt denselben Strombedarf wie eine Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern. Sie ist 20 Meter hoch und groß wie ein halbes Fußballfeld. Das Gerät wird rund um die Uhr bewacht. Denn zu viel Staub könnte die europaweit einmalige Anlage zum Stillstand bringen. Die beiden Behandlungsräume, in denen die Patienten mit bisher meist unheilbaren Tumoren vor allem im Kopf und später an Auge, Sehnerv, Hirnstamm oder Darm therapiert werden sollen, sehen aus wie auf dem Raumschiff "Enterprise".
Im Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) werden die Krebspatienten über den Teilchenbeschleuniger mit elektrisch geladenen Atomen bestrahlt. Anders als die gewöhnlich zur Tumor-Bestrahlung verwendete Röntgenstrahlung lassen sich diese sogenannten Ionen mit Magnetfeldern zielgenau steuern. Speziell entwickelte Software setzt Informationen aus Computer-Tomographen so um, dass an jedem Punkt millimetergenau die erforderliche Strahlendosis abgegeben wird.
Die Lage und Intensität des Therapiestrahls im Körper wird dabei 10.000 Mal pro Sekunde am Computer überprüft. Bei geringsten Abweichungen schaltet das Gerät innerhalb von einer halben Millisekunde ab - und reagiert damit 1.000 Mal schneller als ein menschlicher Reflex. Das soll die beste mögliche Behandlungssicherheit garantieren.
"Ziel jeder Strahlentherapie ist es, Tumorzellen zu zerstören und gleichzeitig umliegende gesunde Zellen zu verschonen. Beschleunigte Ionen eignen sich dafür besser als die herkömmlich genutzte Röntgenstrahlung", erklärt der Anlagenentwickler und Physikprofessor Thomas Haberer. In ihrer technischen Komplexität ist die Anlage mit einem Airbus A380 vergleichbar.
Da es weltweit nur noch zwei vergleichbare betriebene Anlagen in Japan gibt, schaut die medizinische Fachwelt auf die Heidelberger Maschine. Sie ist als einzige weltweit in eine Klinik eingebunden, was die Behandlung erleichtert. Weitere Ionenstrahl-Anlagen werden zurzeit in Marburg-Gießen und Kiel sowie bei Mailand gebaut.
Pro Patient kostet die neue Therapieform etwa 20.000 Euro. Damit ist diese Bestrahlung zwei- bis dreimal teurer als eine herkömmliche Therapie. Extreme Nebenwirkungen sollen minimiert werden, wovon die ohnehin physisch und psychisch belasteten Krebspatienten profitieren. Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland unterstützen das Projekt. Es soll neben dem Betrieb auch die Forschung voranbringen und die neue Therapieform gegenüber der konventionellen Röntgen-Bestrahlung etablieren.
In einem Pilotversuch in Darmstadt wurden in der Entwicklungsphase für die Heidelberger Anlage schon 450 Patienten mit Tumoren im Schädel bestrahlt. Diese hatten noch keine Metastasen ausgebildet. Nach Auskunft des Ärztlichen Leiters des Heidelberger Ionenstrahl- Therapiezentrums, Marc Münter, überlebten durch die Therapie 80 bis 90 Prozent der Krebspatienten mindestens fünf Jahre. Die neuartige onkologische Strahlentherapie sei jedoch nicht für Krebsfälle im Endstadium geeignet, betonte er.