Nach drei Jahren war es gestern, Freitag, wieder in der Wiener Stadthalle F: das Gewissen der Woodstock-Generaton mit der berühmten Sopranstimme. Die US-Folklegende Joan Baez, inzwischen 69 Jahre alt, wusste dabei sehr wohl um ihre Rolle als Katalysator für kollektive Erinnerungen an friedensbewegte und aufrührerische Zeiten.
Im businesstauglichen Hosenanzug kündigte sie ihren Auftritt mit "wir spielen Songs aus den letzten 15 Jahren und auch die, deretwegen das Publikum gekommen ist" an. Mit dem Traditional "Lily Of The West" begann der umjubelte Abend, der wie schon 2007 Eigenkompositionen, Coverversionen und dazwischen ein paar durchaus witzige Anekdoten bot. Leere Sitze waren kaum auszumachen, und der Applaus war schon vor dem ersten Ton fanatisch, denn Baez ist eben auch ein politisches Symbol. Als solches war sie am 9. Februar im Weißen Haus zu Gast, um dort gemeinsam mit ehemaligen Mitstreitern der Protestsong-Bewegung vor Präsident Obama aufzuspielen, wie sie verriet. Vor ihrem Wien-Auftritt war Baez auch bei Bundespräsident Heinz Fischer in der Hofburg zu Gast, um mit ihm Reminiszenzen an vergangene Zeiten auszutauschen.
In der Stadthalle ging es, begleitet von einem gediegenen Quartett, hingegen vorerst gegenwärtig weiter. Mit "Scarlet Tide" von Elvis Costello und "God Is God" von Steve Earle kamen zwei Songs aus ihrem letzten Studioalbum "Day After Tomorrow" (2008) auf die Setlist. Mit der klassischen Folkballade "Silver Dagger", die von Baez als ein Song aus den Zeiten, als sie sich noch zu ernst genommen hat, angekündigt wurde, ging es weiter. Ein Gospel zum Thema Tod ("Gospel Ship"), "Farewell Angelina", geschrieben von ihrem einstigen Wegbegleiter und Lebensgefährten Bob Dylan, "Suzanne" von Leonard Cohen - die erste Hälfte des Auftritts zeigte Baez eher als begnadete Interpretin denn als Stimme des Protests.
Die friedensbewegten Ansprüche wurden dann mit einem auf Deutsch dargebrachten "Wenn unsre Brüder kommen" von Konstantin Wecker gestillt. Dieser Song schien dabei aber einen weitaus längeren Bart zu haben, als der ungefähr dreimal so alte Opener "Lily Of The West". Mit "Diamonds And Rust" und Dylans "Don't Think Twice, It's All Right" ging es dann ins Finale und der Zugabe-Teil enthielt dann die Songs "deretwegen man gekommen sei". Da folgten "The Night They Drove Old Dixie Down", in der berüchtigten deutschen Version dem potenziellen Regionalradio-Hörer als Juliane Werdings "Am Tag als Conny Kramer starb" bekannt.
Der zweite Höhepunkt war dann für das inzwischen zum Teil von seinen Sitzen zur Bühne geströmten Publikum wohl der lagerfeuererprobte Antikriegsklassiker "Where Have All The Flowers Gone?", von Baez zum Mitsingen geeignet in der deutschen Version vorgetragen.
Das Ende wurde dann wieder traditionell begangen und zwar mit dem Gospel "Angel Band", das Baez ohne instrumentale Begleitung gemeinsam mit ihren vier Musikern vortrug. Die Offenbarung des Abends war jedenfalls keine neue: Joan Baez hat musikalisch weitaus mehr geleistet, als ihre allseits bekannten Protestsongs erahnen lassen, auch wenn sie gerade für diese aus durchaus anders gelagerten Motiven geliebt wird.