Neben den sechs Spiel- und acht Kurzfilmen aus Österreich stehen in der neuen Viennale-Reihe "Home Run" vor allem die zwölf neuen Dokumentarfilme im Mittelpunkt.
Von 13 Filmen, die ab Samstag (24.10.) an je einem Festivaltag um 21 Uhr im Künstlerhauskino gezeigt werden, fallen elf auf Dokus.
Im Folgenden eine Kurzkritik der zumeist porträtierenden Dokus (von Günter Schwaigers Stierkampf-Film "Arena" und "Hana, dul, sed..." von Brigitte Weich/Karin Macher über nordkoreanische Fußballerinnen war vorab keine Kopie erhältlich, Anm.): "Bock for President" von Houchang Allahyari: Die Grande Dame der Wiener Sozialarbeit, Ute Bock, in all ihren Widersprüchen: "Ich sitz oft bis drei Uhr früh und um sieben steh ich wieder auf", erzählt die Flüchtlingshelferin, deren Verein Hunderten Flüchtlingen Wohnungen zur Verfügung stellt. Dass sie nicht nein sagen kann, hat sich herumgesprochen. Grenzenlose Hilfsbereitschaft und rauer Humor sind nur einige ihrer Charaktereigenschaften. Es ist der Mensch Ute Bock, der gezeigt wird; ein Mensch, den man allerdings von seinem politischen Tun nie trennen kann. (1.11., 21 Uhr, Künstlerhaus)
"Durch die Welt nach Hause. Die Lebensreise des Frederic Morton"
von Andrea Eckert
Im Februar 1940 musste Fritz Mandelbaum vor den
Nazis aus Wien flüchten, in den USA wurde er als Frederic Morton zum
gefeierten Autor. Eckert lässt Morton seine Lebensgeschichte erzählen,
begleitet ihn durch seine ehemalige Heimatstadt, illustriert seine Worte mit
den dazupassenden Bildern. Filmisch nicht sonderlich aufregend, bleibt die
Doku doch zumindest ein wichtiges Zeugnis einer leider viel zu typischen
Künstlerbiografie des 20. Jahrhunderts. (25.10., 21 Uhr, Künstlerhaus)
"Die fünf Himmelsrichtungen" von Fridolin Schönwiese
Das
Fremdarbeiterdasein aus der Sicht von mexikanischen Gastarbeitern in den USA
mit viel Einfühlungsvermögen und Liebe zum Detail: Maria Esther und Miguel,
beide ohne Aufenthaltsgenehmigung in Kansas City, gehen mit der Einsamkeit,
der Wurzellosigkeit und der Sehnsucht auf jeweils eigene Weise um - die eine
mit Nostalgie, der andere mit gefährlichen Kurzbesuchen in der Heimat. Alles
in allem ein naher und intensiver, wenn auch teils etwas langatmiger Blick
auf politische Realitäten. (24.10., 21 Uhr, Künstlerhaus)
"Jobcenter" von Angela Summereder
Im Jobcenter
sollen die Klienten - vom unbedarften Landwirtschaftsburschen bis hin zur
langjährigen Kantinenpächterin - für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden.
Mit emotionslosen Bildern, die dem Rhythmus dieser Kurse folgen, zeigt die
Filmemacherin den technokratischen Charakter dieser Institution. Nur
manchmal ändert sich der Tonfall der fünf Porträtierten, dann erzählen sie
in Zwiegesprächen, was das Jobcenter nicht leistet. Und in diesen Momenten
wird auch die Doku plötzlich greifbarer und emotionaler. (3.11., 21 Uhr,
Künstlerhaus)
"Der Kinoleinwandgeher" von Michael Pfeifenberger
Der
Autor Josef Winkler wird auf seinen literarischen Reisen in Kärnten und
Mexiko begleitet, erzählt wird das bemühte Roadmovie in zwölf Episoden.
Diese führen vom geheiligten Stall eines kleinen Kärntner Bauernhofs zum
Tanz auf dem Vulkan Popocatepetl, zwölf Beichtstühle visualisieren dabei die
Übergänge und stehen sinnbildlich für den Kreuzweg des Künstlers. Der Film
wird umrahmt von einer Lesung des Schriftstellers und der Musik von
Naked-Lunch-Frontman Oliver Welter gezeigt. (30.10., 21 Uhr, Künstlerhaus)
"Toto" von Peter Schreiner
In mattem, fast künstlich
wirkendem Schwarz-Weiß und mit langen, ruhenden Einstellungen gedreht,
entsteht nach und nach das Porträt einer Person, eines Dorfes, einer Region
und schließlich auch eines Landes, inklusive Lebensgefühl, Lebensweisheiten,
geschichtlichen und politischen Zuständen. Die Rede ist vom kalabresischen
Dorf Tropea, dem der junge Toto einst den Rücken gekehrt hat und das er
heute wieder sehnsüchtig aufsucht. Ein schöner Film über Heimweh und Heimat,
über das Zugehörig-Fühlen und das Zuhören. (28.10., 21 Uhr, Künstlerhaus)
Von den zwölf österreichischen Dokumentarfilmen stammen vier nicht von heimischen Filmschaffenden. Der Slowake Peter Kerekes erstellte "Cooking History" in Koproduktion mit Mischief Films, die Belgierin Nathalie Borgers (deren "Kronenzeitungs"-Doku 2002 für Aufregung gesorgt hatte) finanzierte "Die Frauenkarawane" mit Hilfe der Lotus Film. Die Iranerin Sudabeh Mortezai wurde für "Im Bazar der Geschlechter" von Freibeuter Film unterstützt, und der tschechisch-deutsche Regisseur Harun Farocki konnte "Zum Vergleich" nicht zuletzt dank Navigator Film umsetzen. Hier die Kurzkritiken:
"Cooking History" von Peter Kerekes
Das Thema ist
brillant gewählt und die Doku vielfach provokant und manchmal auch richtig
geschmacklos geraten. Aber nicht zuletzt deshalb sind die Geschichten der
Militärköche, die ihre eigenen Erfahrungen aus den europäischen Kriegen des
20. Jahrhunderts mitgenommen haben, auch äußerst sehenswert. Historische
Daten werden durch subjektive Erinnerungen und Anekdoten ersetzt, Fakten
durch Rezepte. Und die Kontraste eröffnen ein unmittelbares und oft ziemlich
unappetitliches Geschichtsbild. (26.10., 21 Uhr, Künstlerhaus)
"Die Frauenkarawane" von Nathalie Borgers
In ihrem
neuen Werk beschäftigt sich die Regisseurin mit patriarchalen Strukturen und
autonomem Handeln anhand von afrikanischen Frauen, die auf ihrer jährlichen
1.500 Kilometer langen Reise wochenlang die Wüste zur Dattelernte
durchwandern. Raum und Zeit lösen sich dabei für den Zuseher bald komplett
auf. Und die Gespräche der drei porträtierten Frauen über prügelnde
Ehemänner, geglückte Fluchten und ambitionierte Zukunftspläne lassen die
Welt da draußen still stehen. (31.10., 21 Uhr, Künstlerhaus)
"Im Bazar der Geschlechter" von Sudabeh Mortezai
Der
heutige Iran ist geprägt von einer zerrissenen Gesellschaft, gekennzeichnet
von Paradoxien und Doppelmoral - wie etwa die sogenannte Ehe auf Zeit
deutlich macht. Diese schiitische Praxis, bei der ein Mann und eine Frau
eine vor Gott und dem Gesetz anerkannte Ehe eingehen dürfen, die von einer
Stunde bis 99 Jahre dauern kann, wird von der iranischen Regisseurin
spannend hinterfragt. Und auch die weitreichenden individuellen und
politischen Folgen werden ausführlich behandelt. (2.11., 21 Uhr,
Künstlerhaus)
"Zum Vergleich" von Harun Farocki
Farocki hat sich in
seinem einstündigen Film mit Arbeitsprozessen anhand der Ziegelproduktion in
verschiedenen Ländern in Afrika, Asien und Europa auseinandergesetzt. Mit
einer 16-mm-Kamera wurden Produktion und Verwertung gefilmt, abgesehen von
nüchternen informativen Zwischentiteln verzichtet Farocki auf jede Wertung
oder Off-Kommentar. Eine Spannungsdramaturgie fehlt völlig, dagegen wird
vielleicht so etwas wie ein zivilisatorischer Entwicklungsprozess sichtbar
gemacht. (24.10., 13 Uhr, Stadtkino / 25.10., 18.30 Uhr, Künstlerhauskino)