Moderne Lebensentwürfe

Was Frauen wollen

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Irgendwo zwischen Werten und Wünschen, Kind und Karriere, Liebe und Mußezeit spielt sich der weibliche Alltag ab. Soziologin Jutta Allmendinger verrät, was die moderne Frau vom Leben erwartet.

W ie wollen Frauen heutzutage leben? Was sind ihre Perspektiven, wie sehen ihre Träume aus? Den meisten Studien zufolge divergieren weibliche Lebensentwürfe kaum merklich von denen der Männer. Von einem Trend zur Retraditionalisierung keine Spur, viel mehr steht der Kampf um die Gleichberechtigung auf dem ­Tagesprogramm.


Nachgefragt.
Was Frauen wollen, erforscht Jutta Allmendinger, Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung seit über 25 Jahren. Die gebürtige Mannheimerin ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet – Studium, Promotion, Habilitation erledigte sie in Rekordzeit – und untersucht unter anderem, inwiefern ­Arbeitsmarkt und Bildungssystem den ­Lebensverlauf der Menschen prägen. Im MADONNA-Talk erklärt die 60-Jährige, warum eine 32-Stundenwoche Sinn ­machen würde, inwiefern Digitalisierung nicht ohne Vorsicht zu genießen ist und welche Werte sie ihrem eigenen Sohn zu vermitteln sucht.

Gibt man bei Google „Was wollen Frauen“ ein, werden einem vor allem Artikel zum Thema Lust und Liebe vorgeschlagen. Ist dies wirklich alles, was Frauen wollen?  
Jutta Allmendinger:
Vielleicht wollen sie das auch, aber mit Sicherheit nicht ausschließlich und nicht an erster Stelle. Frauen wollen lieben und geliebt werden, viele Freundinnen und Freunde, klar. Das wollen alle Menschen. Für Frauen ist es aber auch ganz wichtig, sich zu bilden und eine erfüllende Arbeit zu haben. Sie wollen ein Stück eigenes Leben jenseits ihrer Familie, sich verwirklichen, entwickeln und auf ­eigenen Beinen stehen. Sie wollen die vielen Möglichkeiten des Lebens nutzen. Das finde ich gut und wir sollten alles dafür tun, dass dies auch möglich ist.  

Inwiefern bietet der Arbeitsmarkt tatsächlich eine solche Chance?
Allmendinger:
Diese Chance bietet er nur wenigen. Unser Arbeitsmarkt ist weiterhin von Regeln bestimmt, die Männer aufgestellt haben. Er basiert darauf, dass man Vollzeit zu arbeiten hat, 45 Jahre lang und erst dann die entsprechende Rente bekommt. Es ist ein Modell, das keine Unterbrechung für die Pflege von Älteren, für die Erziehung von Kindern, für die Weiterbildung, aber auch für die Sorge um sich selbst vorsieht. Unterbrechungen werden bestraft, die Karriere kommt ins Stocken, bei Teilzeit allemal. Das entspricht nicht den Wünschen von Frauen. Sie möchten kein Leben leben, das sich weitgehend der Erwerbsarbeit verpflichtet. Sie wollen Teilzeit arbeiten, ungefähr 32 Stunden pro Woche über den gesamten Lebenslauf gesehen, und dennoch Karriere machen, Verantwortung übernehmen, etwas gestalten. Meines Erachtens ist dies volkswirtschaftlich auch möglich: Männer ­arbeiten etwas weniger, Frauen etwas mehr. Damit verändert sich das Gesamtvolumen an geleisteter Arbeitszeit nicht. Die finanzielle Gleichheit zwischen Frauen und Männern, die partnerschaftliche Gestaltung des Familienlebens, das persönliche Glück und auch die Produktivität würden dagegen zunehmen.    

Was tut die Politik unter diesem Aspekt?
Allmendinger:
Der Politik fehlen die ­Visionen. Hie und da werden kleine Verbesserungen am Rentensystem vorgenommen und die Familienpolitik nachjustiert, all das ergibt aber keine Frauenpolitik aus einem Guss. Man müsste Sozial-, Familien- und Bildungspolitik wesentlich gezielter verbinden. Im Arbeitsmarktbereich müsste ermöglicht werden, auch mit einer 32-Stunden-Woche ein auskömmliches Monatseinkommen zu haben; und auch in Teilzeit Führungspositionen zu erreichen. Die Familienpolitik sollte Männern längere Elternzeiten und einen Vaterschutz anbieten und gezielt fördern. Das Ehegattensplitting und die kostenlose Mitversicherung fallen letztlich Frauen auf die Füße und müssen modifiziert werden. Und die Bildungspolitik sollte Weiterbildung viel ernster nehmen, vor allem im späteren ­Berufsleben. Denn mit 40 ist man nicht zu dumm zum Lernen.


Nun fehlen der Politik die Visionen für eine ernst zu nehmende Verbesserung der weiblichen Situation und das obwohl bei Ihnen in Deutschland sogar eine Frau an der Spitze steht. Was hat Kanzlerin Angela Merkel für die Frauen getan oder auch nicht getan?
Allmendinger:
In den letzten zwölf Jahren hat sich viel getan, keine Frage. Das meiste hätte sich wohl auch ohne die Kanzlerin getan, die Konzepte waren ja bereits in der Vorbereitungsphase. Vieles wurde aber auch nicht erreicht, so etwa die Möglichkeit für Frauen, aus der Teilzeit wieder in die Vollzeit zu kommen, oder eine verstärkte Vertretung von Frauen in Aufsichtsratspositionen.

Sind Sie pro Quote?
Allmendinger:
In den meisten politischen Parteien gibt es Quotierungen, durch die viele Frauen das Licht der ­Öffentlichkeit erblickt haben. Wir sehen das auch bei der Quote für Aufsichtsrätinnen. Doch bei den Vorstandspositionen, bei denen es nur eine Selbstverpflichtung gibt, wird diese von der Wirtschaft nicht ernst genommen. Und somit denke ich, dass die Quote notwendig ist, bis die verstärkte Präsenz von Frauen auch in der Privatwirtschaft zur Selbstverständlichkeit geworden ist.        

Inwiefern bietet die Digitalisierung eine Chance für Frauen, die Problematik der herrschenden Arbeitssituation zu durchbrechen? Ist diese Entwicklung überhaupt als nur positiv zu sehen?
Allmendinger:
Mit Sicherheit nicht. Was uns immer mehr angepriesen wird, ist zum Beispiel das Home Office. Damit geht oft die Forderung nach einer Erreichbarkeit einher, die länger als die vertragliche Arbeitszeit ist. Es kommt dann allzu häufig zu einer Vermischung aller möglichen Aufgaben. Der Anruf oder die Mail vom Chef, während man gerade einkaufen geht, Eltern pflegt, Kinder betreut, mit Freunden unterwegs ist oder auch Sex hat. Wir müssen uns darüber klar sein, dass die Digitalisierung und die Entkopplung der Erwerbsarbeit von unserem Betrieb immer mehr in unser Privatleben eindringt und wir uns dessen erwehren müssen. Das ist eine echte Herausforderung.   


Es werden immer wieder Studien publiziert, die zeigen, dass Frauen sich im ­Berufsleben in ihren Eigenschaften immer wieder zwischen  Kompetenz und Liebenswürdigkeit entscheiden müssen.
Allmendinger:
Wir haben im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung kürzlich auch eine solche Untersuchung erarbeitet. So haben wir Bewerbungen an etliche Unternehmen ausgesendet – eine von einer Frau, eine von einem Mann. Beide waren jeweils entweder zwei oder zwölf Monate in Karenz. Dann haben wir gewartet, wer zum Bewerbungs­gespräch eingeladen wird. Bei den männlichen Bewerbern war es egal, ob sie zwei oder zwölf Monate in Elternzeit waren, bei den Frauen hingegen wurden eher die Mütter eingeladen, die zwölf Monate in Karenz waren. Was heißt das? Frauen sind immer noch in einer No-win-Position. Entweder sie unterbrechen kurz, dann werden sie als Rabenmütter abgestempelt. Oder sie unterbrechen lang und schaden damit ihrer Karriere. Auch aus dieser Perspektive gesehen muss man also versuchen, die ­Arbeitsrealitäten von Männern und Frauen ähnlicher zu gestalten. Und zwar nicht die Erwerbsverläufe von Frauen an die der Männer anpassen, sondern die Erwerbsverläufe der Männer an die der Frauen.  

Sie haben selbst einen mittlerweile erwachsenen Sohn. Wie soll man denn Ihrer Meinung nach Kinder für eine bessere, gleichgestelltere Zukunft erziehen ?
Allmendinger:
Junge Menschen haben früh ihre eigenen Lebensentwürfe, diese unterscheiden auch nur wenig zwischen Frauen und Männern. Dabei steht immer das ‚Und‘ im Vordergrund. Eine Familie, Freizeit und einen guten Job haben. Sich die Aufgaben und Arbeiten in der Partnerschaft teilen. Diese Einstellungen dann auch zu verwirklichen, ist die große Aufgabe. Wir sehen, dass das meistens wunderbar klappt, bis zu dem Moment, in dem Kinder kommen. Dann aber fängt alles an zu wackeln. Der Mann ist meistens zwei, drei Jahre älter, damit verdient er oft mehr. Vielleicht stößt er auch auf Schwierigkeiten, eine längere Elternzeit auszuhandeln, oder traut sich die Erziehung dann doch nicht zu. Im Ergebnis übernimmt die Frau. Man bleibt nicht mehr bei dem, was man sich gegenseitig versprochen hat. In meinem letzten Buch, der Vermächtnisstudie,  sieht man dann auch, dass die Mütter ­ihren Töchtern besonders eines mit auf den Weg geben: „Bleibe deinen Vorstellungen treu! Mache dir klar, dass sich deine Optionen massiv reduzieren, wenn du viele Jahre die Erwerbsarbeit unterbrichst, dass die ­Abhängigkeit vom Partner steigt, deine Rente niedrig sein wird.“ Entsprechend sage ich meinem Sohn: „Bleibe dabei, was du dir als Ziel gesetzt hast. Auch wenn dein Arbeitgeber protestiert. Zeige Mut.“

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Buchtipp: "Das Land, in dem wir leben wollen", Pantheon, um 16,99 Euro.

 

 

 

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