Karl Löbl ist Österreichs renommiertester Kulturjournalist. So erlebte er den Kriegsausbruch:
Auf der Bahnfahrt von Zürich nach Wien. Es ist der 1. September 1939. Im Zug haben wir gehört, weshalb wir zu unseren Eltern heimgeschickt werden: Es ist Krieg. Ich bin neun Jahre alt. Von meinem Vater weiß ich, dass er schon einmal im Krieg war. Aber was ist Krieg wirklich?
Wir waren in der Schweiz
Ein Waggon mit Kindern und Jugendlichen.
Wir sollten uns erholen. Irgendeine Organisation, an die ich mich heute
nicht mehr erinnern kann, hatte uns ein paar Wochen bei Zürcher Familien
ermöglicht. Wir alle waren keine Arier.
Ein Arier war man, wenn alle Großeltern (!) den Rassegesetzen des Dritten Reiches entsprachen. Ich hatte und habe zwei jüdische Großeltern. Also war ich sogenannter „Mischling“. Das war meiner Schweizer Gastfamilie zwar egal, aber als der Krieg ausbrach, wollten die Eidgenossen uns alle doch so schnell wie möglich außer Landes schaffen. „Das Boot ist voll“, das später verwendete Argument für Abschiebungen, galt allerdings noch nicht.
Wir alle hatten nichts dagegen, wieder heimgeschickt zu werden. Noch schien das Leben normal. Noch ahnten wir nichts von Deportation und KZ, denn die Eltern der meisten von uns hatten bisher versucht, Existenzangst von den Kindern fernzuhalten. Noch wussten wir nichts vom Bombenkrieg. Diese Erfahrung machten wir erst später.
Kriegsbeginn in Wien
Hier war man weit weg von den Kämpfen in
Polen, von den Konflikten um Danzig und Ostpreußen. Wer von uns Kindern
wissen wollte, was Krieg ist, musste ins Kino gehen und sich die Wochenschau
ansehen. Dass er dort nicht die volle Wahrheit erfuhr, sondern bloß die
Nazi-Version, das wussten wir damals noch nicht.
Sechs Jahre später, mit 15, hatte ich den Krieg in Wien überlebt. Denen, die man heute Teenager nennt, wünsche ich, dass ihnen unsere Erfahrungen erspart bleiben mögen.