Trainerwechsel zu spät

Muster über Thiem: "Waren katastrophale Entscheidungen dabei"

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Der Trainerwechsel erfolgte für Ex-French-Open-Champion zu spät.

Thomas Muster sieht beim schon lange um die Rückkehr in die absolute Spitze ringenden Dominic Thiem eine klare Aufwärtstendenz. Österreichs erster Einzel-Grand-Slam-Sieger nahm sich am Mittwochabend bei einem Wiener Heurigen lange Zeit, um eine Bestandsaufnahme seines rot-weiß-roten Nachfolgers als Major-Champion vorzunehmen. Die Quintessenz: Es geht aufwärts, er traut Thiem in Paris auslosungsabhängig sogar ein Achtelfinale zu, doch für ihn sind auch viele Fehler passiert.

Der vor wenigen Wochen erfolgte Trainerwechsel Thiems von Nicolas Massu zum Deutschen Benjamin Ebrahimzadeh hätte für den heute 55-jährigen Ex-Weltranglisten-Ersten schon früher erfolgen müssen. "Ich glaube, dass der Schritt zu spät war. Ich hätte ihn nach Ende der Saison gemacht, weil das hat sich für ihn jetzt bewahrheitet, dass das der richtige Schritt ist. Nur hätte man wahrscheinlich schon im Winter Vorbereitungen treffen können." Muster glaubt, dass es schon früher besser hätte laufen können. "Aber nachher ist man immer gescheiter. Aber dass Dominic nicht der Entscheidungskräftigste ist, hat sich eh schon des Öfteren bewahrheitet. Es waren sicher, glaube ich, über die letzten drei Jahre katastrophale Entscheidungen dabei, die er auch teilweise zugegeben hat, aber man ist halt in dem Moment immer nur so gescheit, wie man ist."

Muster traut Thiem Top 40, Top 30 noch heuer zu

Muster blickte aber nicht nur zurück, sondern auch in die Zukunft. "Er hat noch einige Jahre vor sich. Wichtig ist es für ihn, es jetzt so weiterzubetreiben. Ich traue ihm die ersten 40, ersten 30 heuer zu, falls er gesund bleibt und es weiter so funktioniert." Muster, der auch weiterhin als Turnierbotschafter der Erste Bank Open in der Wiener Stadthalle fungiert, behauptete, er hätte in den vergangenen drei Jahren jedes einzelne Match von Thiem gesehen.

Es könne auch wieder relativ schnell gehen. "Wenn du das Rüstzeug hat, das heißt du bist körperlich fit. Und das bezweifle ich, dass das bis jetzt so war, auch wenn es immer wieder so gesagt wurde." Für Muster war Thiem lange Zeit "nicht match-fit". Vor Kurzem habe er unter dem neuen Coach gesehen, dass nach einer Niederlage wieder trainiert worden ist. "Vielleicht hat es den Tiefpunkt gebraucht, um tatsächlich zu sagen, ich muss den Weg gehen, oder es gibt keinen mehr. Die Sackgasse war unübersehbar."

Ansätze sind da

Ob Thiem für die Rückkehr zu alten Höhen auch seinen Spielstil wird ändern müssen, beantwortete Muster auf APA-Nachfrage klar mit ja. "Unbedingt, du kannst sechs Meter hinter der Grundlinie kein Match gewinnen, weil die Wege zu weit werden und die Regeneration nicht besser wird. Aber das kommt mit Selbstvertrauen, mit Matchgewinnen usw. Es waren Ansätze in Madrid schon da, du brauchst die Schläge dazu, um das auch spielen zu können. Du brauchst die Match-Fitness, um das bei einem Grand Slam zwei Wochen spielen zu können."

Muster hat auch eine persönliche Geschichte mit Thiem: Anfang Jänner 2020 war eine Zusammenarbeit als Zusatzcoach für 20 Wochen vereinbart worden. Doch nur 17 Tage später endete der Pakt der beiden wieder, vor dem Drittrundenmatch bei den Australian Open in Melbourne. Musters wohl eher unverblümte Art und Weise hatte Thiem nicht so behagt, der heute 29-jährige Niederösterreicher stürmte danach erstmals ins Endspiel der Australian Open.

Muster hegt darüber keinen Groll mehr, verfolgt aber mit kritischem Blick die Karriere des ehemaligen Weltranglisten-Dritten. Nicht nur in Sachen Spieltaktik hat Muster einiges zu bekritteln. "Es ist in drei Jahren relativ viel verbockt worden. Immer wieder Comeback-Ankündigungen, dann war er nie wirklich match-fit. Die anderen Beweggründe kann ich nicht beurteilen - ob das jetzt richtig ist, dass Moritz sein Manager ist, ist egal, seine Entscheidung."

"Du musst dich im Kopf neu erfinden" 

Im März des Vorjahres habe Muster schon geglaubt, es werde wieder. "Aber die Wahrheit ist, und er hat es sich auch selbst eingestanden, er war sich nicht mehr sicher, ob er das will. Das kenne ich, du kommst in ein Alter, wo du sagst, es gibt andere Dinge im Leben. Wenn du kein Tennis spielst, weil du verletzt bist. Du musst dich im Kopf neu erfinden, um das wieder anzugehen. Das geht ja nicht im Spazierengehen, auch ein Comeback ist sehr aufreibend, körperlich intensiv, zeitintensiv. Du musst diese Wiederholungszahlen wieder reinbringen, das muss sich einschleifen, und das gekoppelt mit Turniererfolgen."

Er selbst habe 1991 einen Totalausfall gehabt und danach drei Jahre gebraucht, bis er "die Kurve gekriegt" habe. Den fehlenden Erfolgshunger nach einem großen Titel, das kann Muster schon irgendwie nachvollziehen.

"Bei mir war es im letzten Abdruck der Karriere, und das war auch erwartet. Wir hätten ja auch erwartet, dass er Paris am ehesten gewinnt. Ich sage salopp, die US Open sind Dominic passiert - er hat gut gespielt, alles hat funktioniert. Es passiert etwas, was du nicht erwartet hast und früher. Dann musst du damit umgehen lernen und sagen, jetzt erst recht, und das ist dann nicht passiert."

Schon vor Thiems Verletzung war es spielerisch und ergebnismäßig abwärts gegangen. Wo Muster in der Beobachtung der vergangenen Turniere am meisten Verbesserungspotenzial bei Thiem sieht? "Das Courtplacement - Wahnsinn. Gott sei Dank gibt es hinten bei vielen Turnieren keine Linienrichter mehr." Der 44-fache ATP-Sieger spricht die sehr defensive Platzierung Thiems weit hinter der Grundlinie an. "Das war gegen Tsitsipas (in Madrid, Anm.) teilweise besser."

Warum Muster Thiems Karriere so verfolgt? "Weil es mich persönlich interessiert, weil ich damals auch für keinen anderen Spieler gesagt hätte, ich mache das. Ich habe viele Angebote gehabt, für Dominic hab ich es gemacht. Ich schaue es mir meistens sehr kritisch an, was würde ich machen als Coach oder als Spieler? Manche Partien anzuschauen, ist wirklich wie zum Muttertag Plastikblumen kriegen."

Die Diskussion rund um einen Mentalcoach versteht Muster nicht. "Es hängt von der Aufnahmefähigkeit auf. Ich kann mir den besten Mentaltrainer nehmen, wenn ich dem nicht zuhöre." Für Muster kann es "nur besser werden, schlechter hat es nicht mehr werden können."

Bei aller Kritik sieht Muster für die "nächsten vier, fünf Jahre den Zug nicht abgefahren". Auch nicht in Richtung Grand-Slam-Titel? "Es wird nicht leichter, die Roland-Garros-Möglichkeiten sind ausgelassen, es war aber auch ein schwer besetztes Finale", spielte Muster auf die zwei Final-Niederlagen 2018 und 2019 jeweils gegen Rafael Nadal an. "Ich habe keine Glaskugel, aber möglich ist es, das haben andere auch gezeigt."

Letztlich glaubt der achtfache Masters-1000-Sieger, dass in den nächsten "Wochen, Monaten ein Schub kommen wird". Ausdauer und Intensität werden besser." Vielleicht sogar schon bei den French Open? "Wer sagt, dass er nicht in der ersten oder zweiten Runde einen rausnimmt. Ich traue ihm ein Achtelfinale zu, wenn er über den ersten Gesetzten drüber kommt, je nach Auslosung, vielleicht ein Viertelfinale, wer weiß."

Etwas überraschend kommt die Beurteilung Musters über Thiems Rückhand. Dieser habe zuletzt die Rückhand wieder mehr umlaufen, und das sieht der Steirer positiv. "Es haben immer alle gesagt, wie toll seine Rückhand ist. Ich sage noch immer, das ist sein Schwachpunkt, auch wenn der Rückhand longline dieser Traumschlag ist."

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