100.000 Kinder und Jugendliche in Österreich sind manifest arm. 14 bis 18 Prozent von ihnen zeigen psychische Auffälligkeiten. Gerade diese besonders Benachteiligten mangelt es an Geld für eine Therapie. Der Versorgungsgrad für Behandlungen sei extrem gering, hieß es bei einer Pressekonferenz des Bundesverbandes für Psychotherapie in Wien.
"Wir gehen davon aus, dass es einen Bedarf für Psychotherapie bei 2,1 bis fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen gibt. Wir liegen laut dem Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen maximal bei einem Versorgungsgrad (mit leistbaren Psychotherapie-Angeboten) von 0,3 Prozent. Wir brauchen zehn Mal so viel", sagte Eva Mückstein, Präsidentin des Verbands. Nur die Hälfte der 0,3 Prozent seien kassenfinanziert. "Die andere Hälfte ist auf die geltende Zuschussregelung durch die Krankenkassen angewiesen. Sie zahlen pro Psychotherapie-Einheit 21,80 Euro. Eine Einheit kostet aber 80 Euro." 60 Euro Aufzahlung pro Stunde könnten sich aber gerade arme und armutsgefährdete Familien nicht leisten.
Dies führe zu erschütternden Verhältnissen. Die Expertin: "Da gibt es einen Fall, da legen zwei Großmütter und zwei Tanten 'zusammen', damit sich die Mutter für ein Kind die Psychotherapie leisten kann."
Seit etwa 20 Jahren wird in Österreich über die Psychotherapie auf Kassenkosten diskutiert. Ohne Einigung auf einen Kassenvertrag setzen die Krankenkassen auf Zuschüsse und den Aufkauf von Stunden-"Kontingenten" bei Psychotherapeuten bzw. Institutionen - laut Eva Mückstein mit dem Effekt eines krassen Mangels: "In Deutschland liegt man durchgängig bei einem Versorgungsgrad mit Psychotherapie für 2,6 Prozent der Bevölkerung." In Österreich seien es 0,3 Prozent.
Für Kinder und Jugendliche, bei denen die Entwicklung durch Unterdiagnose und Nicht-Therapie nachhaltig gestört werden kann, ist das besonders tragisch. Bei 100.000 in Armut lebenden Kindern in Österreich zeigen sich bei 18 Prozent der Drei- bis Zehnjährigen und bei knapp 14 Prozent der Elf- bis 17-Jährigen psychische Auffälligkeiten. In Familien der höchsten Einkommenskategorie sind es nur fünf Prozent. Hier schlägt die Armut dann oft doppelt zu.
Kritik an Lage in Oberösterreich
Der Vizepräsident des Psychotherapeutenverbandes, der oberösterreichische Psychiater Werner Schöny, betonte bei der Pressekonferenz: "Gerade bei Kindern steht die Psychotherapie ganz im Vordergrund. (...) Wenn die Politik etwas für Kinder und Jugendliche tun will, dann sollte sie Therapieangebote schaffen, die leistbar sind. Es sind aber auch Arbeitsmöglichkeiten für sie zu schaffen."
Bereits vor einigen Wochen kam es in Österreich zu massiver Kritik an der gesundheitlichen Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Dabei wurde auch das Beispiel Oberösterreich genannt. Schöny: "Es gibt in Oberösterreich einen Sozialfonds für Psychotherapie. Allerdings ist er nicht groß genug, dass jedes Kind zur Psychotherapie kommt. Es ist so, dass die Wartezeiten für die Psychotherapie sehr lang sind. (...) Das Problem ist den Verantwortlichen bekannt."
Eva Mückstein: "Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse hat vergangenes Jahr ein Kontingent von 25.000 Stunden (für Kinder-Psychotherapie) gehabt. 309 Kinder waren in kassenfinanzierter Psychotherapie. Das sind 0,1 Prozent der Kinder. Wir nehmen an, dass der Bedarf bei 2,1 bis fünf Prozent liegt."
Diese Angaben wurden vom Sprecher der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖGKK) heftig bestritten: "Wir haben im vergangenen Jahr ein Kontingent von 70.000 Therapieeinheiten von drei Institutionen gekauft. Dieses Kontingent wird jährlich um zehn Prozent erhöht." Schwierigkeiten könne es geben, man sei aber nicht schlechter als andere Bundesländer.
Lange Wartezeiten
Einstweilen aber scheint die von den Fachleuten - nicht zum ersten Mal - konstatierte Misere weiterzugehen. Eva Mückstein: "Im Bezirk Baden in Niederösterreich hat die einzige Institution (für Kinder-Psychotherapie, Anm.) ein Jahr Wartezeit." Da sei Hilfe oft schon zu spät. Schöny assistierte am Donnerstag: "Darum sind wir ja da. Weil es nicht so funktioniert, wie es funktionieren sollte. Es gibt keine Plätze in den Institutionen - und sonst kann sich's keiner leisten."
Ähnliches spielt offenbar auch in der Betreuung von sozial hoch gefährdeten Familien in Wien und Niederösterreich ab. Christa Pölzlbauer vom Psychotherapie-Verband: "Früher gab es hier die Familien-Intensivbetreuung. In die Familien kam jeden Tag eine Sozialarbeiterin. In Wien und in Niederösterreich sind das jetzt zwei Stunden pro Woche in sozial benachteiligten Familien."
Bei der Psychotherapie für Kinder und Jugendliche ist es laut der Expertin mittlerweile so, dass Kindergärtnerinnen und Lehrer - gemeinsam mit den Eltern - frustriert würden: Die Betreuer konstatierten einen Psychotherapie-Bedarf, eine psychologische Diagnose werde dementsprechend gestellt - und dann gebe es keine erreichbare Therapie trotz einer eindeutigen Diagnose.