Zuckerproduzent Agrana stichelt gegen Süßungsmittel Stevia.
Der heimische Zuckerproduzent Agrana fährt eine Werbekampagne gegen den seit Dezember 2011 zugelassenen Süßstoff Stevia. Offenbar sieht Agrana das Süßungsmittel nun doch als gefährlichen Mitbewerber. "Lust auf Eistee mit Stevia-Glycosiden E960?", lässt der Nahrungsmittelkonzern plakatieren. "Nicht alles, was süß ist, ist so natürlich wie Wiener Zucker", macht Agrana Stimmung für sein eigenes Produkt. Heimische Nahrungsmittelhersteller und Handelsketten zeigten sich nicht erfreut über die Anti-Stevia-Kampagne.
"Wir haben seit Jahresbeginn die gesamte Gesundheitsrange auf Stevia umgestellt", sagt der Sprecher des Vorarlberger Fruchtsaftherstellers Rauch, Daniel Wüstner den "Salzburger Nachrichten" (Dienstagausgabe). Die Negativkampagne bezeichnete er als "kontraproduktiv und der Sache nicht dienlich". Spar-Sprecherin Nicole Berkmann sieht die Einführung von Stevia als Erfolg. "Verkauf und Nachfrage laufen gut". Man wolle das Sortiment erweitern, sobald die Industrie soweit sei.
Mit der häufigen Abbildung der Stevia-Pflanze auf diversen Produkten werde dem Konsumenten ein falsches Bild vermittelt, heißt es bei der Agrana gegenüber den "SN". Die Pflanze selbst sei keinesfalls zugelassen oder diene direkt als Süßungsmittel, sondern lediglich die Steviolglycoside (E960). Die Agrana verweist auf eine Leitlinie des Bundesministeriums für Gesundheit von Mitte Juni. Darin werden Bezeichnungen wie "mit natürlicher Süße" oder "mit der natürlichen Süße aus der Stevia-Pflanze" sowie bildliche Darstellungen der Stevia-Pflanze als "zur Täuschung geeignet" aufgelistet. Weil es hierzulande keine eigene Extraktionsanlage für Steviolglycoside gibt, muss der Großteil derzeit aus China importiert werden.
Umstritten zwischen Experten ist, ob das aus der Stevia-Pflanze gewonnene Süßungsmittel als "natürlicher Stoff" bezeichnet werden kann, so der Wiener BOKU-Lebensmitteltechnologe Senad Novalin zur APA. "Man kann es so oder so sehen. Es gibt keine anerkannte Definition, was 'natürlich' ist". Die Herstellung sei im Vergleich zur Zuckerrübenverarbeitung ähnlich, aber deutlich aufwendiger. Es müsste unter anderem Ethanol oder Methanol zur Extraktion verwendeten werden. Manche Experten würden meinen, dass bei intensiver Verarbeitung nicht mehr von "Natürlichkeit" gesprochen werden könne. Novalin plädiert hingegen dafür, Stevia-Süßungsmittel als Lebensmittelzusatz "natürlichen Ursprungs" zu bezeichnen, im Gegensatz zu synthetisch hergestellten Zusätzen. Zucker werde "aus Tradition" als Nahrungsmittel eingestuft und habe deswegen keine E-Nummer. Seit der Industrialisierung gelte Zucker es als wesentliche Kalorienquelle für die Bevölkerung. E-Nummern bezeichnen Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden.
Das Süßungsmittel Stevia ist seit Anfang Dezember 2011 im österreichischen Handel erhältlich. Die Zulassung hatte sich verzögert, da die Wirkung der Pflanze umstritten war. Letztlich stellte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) aber fest, dass das Süßungsmittel weder krebserregend noch genotoxisch ist, oder mit Störungen der Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht werden kann.
Der Süßstoff wird aus den Blättern der Pflanze Stevia rebaudiana gewonnen und ist bis zu 300 Mal süßer als Zucker. Stevia hat keine Kalorien und verursacht im Gegensatz etwa zu Rüben- und Rohrzucker auch kein Karies. Das daraus gewonnene Steviolglycosid darf etwa in Joghurts, Müslis, Getränken, Schokolade und anderen Süßigkeiten verwendet werden.