72. Filmfestspiele Venedig

So fulminant war die erste Woche am Lido

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Die erste Woche der Filmfestispiele übertraf alle Erwartungen.

So hochkarätig sie angefangen hat, so prominent wurde die erste Woche der Filmfestspiele Venedig auch beendet: Mit dem wohl attraktivsten Cast des diesjährigen Wettbewerbs wartet Luca Guadagninos Drama "A Bigger Splash" auf, und brachte am Sonntag neben Oscarpreisträgerin Tilda Swinton (54) auch Matthias Schoenaerts (37), Ralph Fiennes (52) und Dakota Johnson (25) in die italienische Lagunenstadt.

Weiter südlich reist Guadagnino für seine Neuinterpretation von Jacques Derays Kultfilm "Swimming Pool", mit dem Romy Schneider 1969 an der Seite von Alain Delon einst zur Kinolegende wurde. Auf der Mittelmeerinsel Pantelleria genießen die Rockmusikerin Marianne (Swinton) und ihr Filmemacher-Partner Paul (Schoenaerts) ihren Urlaub, als plötzlich Mariannes Exfreund Harry (Fiennes) mit dessen 22-jähriger Tochter Penelope (Johnson), von der dieser bis vor einem Jahr noch nichts wusste, auftaucht.

Die Rolle der Marianne hat Guadagnino aufgewertet, wenn sie auch die meiste Zeit über stumm bleibt. Die Idee, dass sich die Musikerin von einer Stimmbandoperation erholt, kam von Swinton selbst. Als Guadagnino ihr die Rolle angeboten habe, "war ich gerade an einem Punkt in meinem Leben, wo ich nichts sagen wollte", erzählte die britische Schauspielerin in Venedig. Sie habe aber nach dem gemeinsamen Film "I am Love" (2009) wieder mit dem Italiener drehen wollen und daher die Idee geboren, ihrer Figur eine Sprechpause zu verordnen.

Worte sind in "A Bigger Splash" sowieso zweitranging: Wie schon in "I am Love" beschäftigt sich Guadagnino mit dem (verbotenen) Begehren und der Verführung, folgt sehnsüchtigen Blicken und verstohlenen Berührungen, und lässt seine vier spannenden Protagonisten zunehmend auf eine Katastrophe zusteuern. Das ist in der spürbar gleißenden Hitze und bei viel nackter Haut wahrlich schön anzusehen, und hat nicht zuletzt dank Ralph Fiennes, der als fast manischer, nostalgischer Eindringling einen kultverdächtigen Tanz zu Rolling Stones' "Emotional Rescue" hinlegt, auch seine humorvollen Momente.

Weniger zum Lachen bringt ausnahmsweise Argentiniens meist geliebter Comedian Guillermo Francella als Arquimedes Puccio in "The Clan". In Pablo Traperos Wettbewerbsbeitrag verkörpert der 60-Jährige das Oberhaupt des berüchtigten Puccio-Clans, der in den Jahren 1982 bis 1985 in Buenos Aires Mitglieder wohlhabender Familien entführte und hohe Lösegelder verlangte, nur um die Geiseln nach der Zahlung doch umzubringen.

Mit Originalaufnahmen gespickt, erzählt "El Clan" von über jeder Moral stehenden Familienbanden und lebt von Francella als mit erschreckend stoischer Ruhe agierender Patriarch, weiß dabei jedoch nicht vollends zu überzeugen. Und passt somit gut in einen Wettbewerb, der in den ersten Tagen weder grobe Schnitzer noch wahre Highlights erkennen ließ. Einzig Alexander Sokurows Kaleidoskop "Francofonia" über den Stellenwert von Kunst in Europa und die aufwühlende Netflix-Produktion "Beasts of No Nation" von Cary Fukunaga über afrikanische Kindersoldaten schienen nachhaltig Eindruck zu hinterlassen. Bis 12. September werden noch u.a. der Polit-Thriller "Rabin, the Last Day" des israelischen Regisseurs Amos Gitai sowie "Anomalisa", der einzige Animationsfilm im Rennen um den Goldenen Löwen, mit Spannung erwartet.

Reale Persönlichkeiten wie Arquimedes Puccio haben die ersten Festivaltage dominiert, verkörperten doch u.a. Eddie Redmayne Transgender-Pionierin Lili Elbe in Tom Hoopers Wettbewerbsfilm "The Danish Girl", Jake Gyllenhaal und Jason Clarke verunglückte Bergsteiger in Baltasar Kormakurs "Everest", Johnny Depp den berüchtigten Gangsterboss James "Whitey" Bulger in Scott Coopers "Black Mass", Catherine Frot eine an Florence Foster Jenkins angelehnte Möchtegern-Operndiva in Xavier Giannolis "Marguerite" und Mark Ruffalo in "Spotlight" einen Investigativreporter, der einen Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in Boston aufdeckte. Thomas McCarthys vielgepriesener Film gehört neben "Black Mass" und dem Eröffnungsfilm "Everest" zu jenen außer Konkurrenz laufenden Werken, die für die traditionelle Stardichte am Lido gesorgt haben.

Ein wenig ruhiger dürfte es in dieser Hinsicht in der zweiten Woche werden, wurde die für Montag angesetzte Premiere von Martin Scorseses hochkarätig besetztem Casino-Werbekurzfilm "The Audition" mit u.a. Brad Pitt, Robert De Niro und Leonardo DiCaprio doch kurz vor dem Festival aufgrund "technischer Probleme" abgesagt. Daniel Alfredsons "Go With Me" dürfte am Freitag jedenfalls Anthony Hopkins, Ray Liotta und Julia Stiles nach Venedig führen, während Regisseur Atom Egoyan in der deutsch-kanadischen Koproduktion "Remember" u.a. Altmeister Christopher Plummer und Martin Landau besetzt hat. Ein Wiedersehen auf der Leinwand gibt es auch mit einem exzentrischen Austro-Star von einst: Der Salzburger Filmemacher Andreas Horvath porträtiert Enfant terrible Helmut Berger in seiner Doku "Helmut Berger, Actor", die am Mittwoch als einziger diesjähriger Österreich-Beitrag in der renommierten Schiene "Venezia Classici" Premiere feiert.

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