Sie war eine der größten deutschen Unternehmerinnen der Nachkriegszeit: Beate Uhse. Zu ihrem 100. Geburtstag erklärt eine neue Biografie, wie die „Tante Sex“ das Erotik-Business revolutionierte.
Beate Uhse wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Während die im Jahr 2001 verstorbene „Mutter Courage des Tabubruchs“ längst Kultstatus erreicht hat, wurde sie in den 70er-Jahren für ihre liberale Einstellung zum Thema Sex geächtet. Einen Einblick in ihr Leben bietet nun die neue Biografie „Beate Uhse – Ein Leben gegen Tabus“ von Katrin Rönicke. Daraus geht hervor, dass Beate Uhse vor allem eines war: eine Geschäftsfrau.
Rebellin. Die im Jahr 1919 als Beate Köstlin geborene Pionierin in Sachen enttabuisiertem Sex war bereits in jungen Jahren eine Vorreiterin. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zum Fliegen und machte mit nur 18 Jahren als einzige Frau unter 60 Flugschülern den Flugschein. Über diese Leidenschaft lernte sie auch ihren ersten Mann, Kunstfluglehrer Hans-Jürgen Uhse, kennen. Aus der Ehe ging Sohn Klaus (1943–1984) hervor – Hans-Jürgen Uhse verunglückte jedoch nur wenige Jahre später bei einem Flugzeugabsturz und Uhse war plötzlich alleinerziehend.
Die Pionierin ließ sich aber nicht unterkriegen und wurde 1944 bis 1945 eine von wenigen Pilotinnen der Wehrmacht. Im April 1945 floh sie gemeinsam mit ihrem Sohn mit einem Flugzeug aus Berlin. Nach Kriegsende verbrachte sie sechs Wochen in britischer Kriegsgefangenschaft, danach wurde sie mit ihrem Sohn als Flüchtling im nordfriesischen Braderup untergebracht. Mit der „Schrift X“ fing schließlich alles an: Auf sieben Seiten klärte Uhse über die Verhütungsmethode nach Knaus-Ogino auf, anhand einer beigefügten Tabelle konnte frau selbst ihre empfängnisfreien Tage errechnen. Die Broschüre bewarb Uhse per Postwurfsendung.
Geschäft. „Es sollte das selbstverständliche Recht jedes Menschen sein, die Größe seiner Familie je nach seinen sozialen Verhältnissen zu bestimmen“, forderte die Tochter eines Landwirts und einer Ärztin in der Schrift und traf damit den Nerv der Zeit – die Abnehmerzahl war groß. Laut der neuen Biografie kostete die Schrift 2 Mark und 70 Pfennig und wurde im ersten Jahr stolze 32.000 Mal verkauft. Zu jeder Bestellung packt Beate Uhse Kondome dazu, manchmal sogar einen Brief. Auch später beriet die Unternehmerin ihre Kundinnen persönlich per Post.
Motiviert von ihrem Erfolg und unterstützt durch ihren zweiten Ehemann Ernst-Walter Rotermund, gründete die Jungunternehmerin 1951 das „Versandhaus Beate Uhse“ – ein „Spezialversandhaus für Ehe- und Sexualliteratur und für hygienische Artikel“. 10 Jahre nach der Erstveröffentlichung der „Schrift X“ hatte Uhse 200.000 Kunden!
Influencerin. Laut Rönicke war die „Schrift X“ letztendlich aber nur der Versuch, nach dem Krieg Geld zu verdienen. „Je länger ich mich mit Beate und der Geschichte der Firma Beate Uhse beschäftigte, desto klarer wurde mir: Das ist hier alles andere als die Emanzipationsgeschichte einer Frau nach 1945, die für die sexuelle Freiheit und das Glück der Menschen kämpft“, so Rönicke. Denn Feministin im klassischen Sinn sei Uhse nicht gewesen, eher eine Art „frühe Influencerin“, die eine Botschaft hatte, aber vor allem auch gutes Geld machen wollte, so Rönicke.
Kritik. 1962 eröffnete Uhse in Flensburg mit dem „Fachgeschäft für Ehehygiene“ den ersten Sexshop der Welt, und musste sich immer wieder den Vorwurf der „Unzucht“ gefallen lassen. Anzeigen und Gerichtsprozesse standen an der Tagesordnung. Dass aber das Geschäft über allem stand, bewies in den 1970er-Jahren ihr Einstieg ins Porno-Geschäft, der bei Frauenbewegungen für harte Kritik sorgte. Uhse ließen die Angriffe der Feministinnen jedoch genauso kalt, wie die Kritik der Moralapostel in den 1950er-Jahren – Pornofilme sollten einen neuen Kundenstamm bedienen, nur das zählte. Das Geschäft florierte, 1992 macht das Unternehmen erstmals über 100.000 DM Umsatz, 1999 ging die „Tante Sex“ an die Börse. Vor einigen Jahren dann aber der Absturz: Das Internet mit seinen Gratis-Sexfilmen wurde zum unbezwingbaren Konkurrenten. 2017 beantragte die Holdinggesellschaft der Beate Uhse AG erstmals die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens – seitdem scheiterten mehrere Anläufe zur Revitalisierung der Marke.
Einblicke. Privat hatte Beate Uhse einige Schicksalsschläge zu verkraften. Vom Tod ihres ersten Ehemannes über den Rosenkrieg mit Ehemann Nummer zwei bis hin zum Krebs-Tod ihres Sohnes und ihrer eigenen Krebserkrankung im Jahr 1983. Beate Uhse starb im Jahr 2001 im Alter von 81 Jahren an einer Lungenentzündung.
Rönicke gewährt in dem Buch seltene Einblicke in Uhses Familienleben und spart auch nicht mit Kritik. In der Biografie, in der viele private Fotos zu finden sind, kommen Uhses Schwägerin und einer ihrer drei Söhne zu Wort. Auf knapp 200 Seiten bietet Rönicke eine spannende und unverklärte Darstellung der „Mutter Courage des Tabubruchs“.
Biografie „Ein Leben gegen Tabus“, von Katrin Rönicke. Erschienen im Residenz Verlag.