Freundin erzählt

Die Tragödie um die Baby-Räuberin

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Täterin oder Opfer? Ein deutscher Psychiater soll jetzt klären, ob die Kindesentführerin von Salzburg überhaupt verhandlungsfähig ist.

Nach der glücklich ausgegangenen Entführung der drei Monate alten Nora am Mittwoch aus einem Salzburger Einkaufszentrum wird die Wohnung der Verdächtigen im Tiroler Unterland bald durchsucht. Sie ist derzeit versiegelt und wird geöffnet, sobald eine Verfügung der Staatsanwaltschaft vorliegt, sagte Oberst Josef Holzberger vom Landeskriminalamt (LKA) Salzburg am Freitag.

Elisabeth S.(32) aus Kössen (Tirol) wird derzeit in einer psychiatrischen Klinik in Bayern behandelt: „Es muss geklärt werden“, sagt Volker Ziegler, Sprecher der Staatsanwaltschaft Traunstein (Bayern) zu ÖSTERREICH, „was zu dieser Kindesentziehung geführt hat“.

Eines steht aber jetzt schon fest: Elisabeth S. hat sich monatelang auf die Tat vorbereitet, sich in einen „Wahn hineingelebt“, sagt Freundin Birgit A. (siehe Interview). Sie richtete in ihrer Wohnung in einem Wohnblock in Kössen ein Kinderzimmer ein. Kaufte Babydecken, einen Kinderwagen: „Uns allen erzählte sie“, sagt die Freundin, „dass sie nun einen Freund hat und von diesem Mann schwanger ist“.

Anderen Freundinnen log sie vor, dass sie das Kind bereits bekommen habe. Sie ging mit einem Kinderwagen spazieren, der Buggy war allerdings leer. Ein anderes Mal soll eine Holzpuppe darin gelegen haben: „Sie hat sich so unglaublich reingesteigert“, sagt die Freundin, „dass sie wohl keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat.“

Erster Entführungsversuch schon am Dienstag
Dienstagvormittag setzte sich die Hotel-Angestellte in ihren silbergrauen Peugeot 206, fuhr ins Salzburger Einkaufszentrum „Europapark“. Einer Frau, die ihr vier Monate altes Baby im Maxi-Cosi trug, folgte sie durchs ganze Zentrum. Es ergab sich aber keine Gelegenheit, das Baby zu entreißen.

Deshalb kam sie am Mittwoch wieder. Entführte um 9.43 Uhr die kleine Nora aus dem Maxi-Cosi, der bloß eine Minute unbeobachtet vor einer H&M-Umkleidekabine stand. Mit dem Baby raste sie zurück in ihren Heimatort Kössen, zeigte das Kind einer Bekannten: „Das ist mein Baby“, log sie euphorisch.

Aufgegeben hat sie ihren Wahnsinnsplan erst, als die Polizei mit ihrem Foto aus der Überwachungskamera fahndete: „Sie wollte dem Kind nichts antun, hat sie uns erzählt“, sagt Staatsanwaltssprecher Ziegler. Und: „Uns erzählte sie auch, dass sie im Herbst 2009 ein Kind bei der Geburt verloren habe. Seit damals hätte der Wunsch nach einem eigenen Kind ihr ganzes Leben bestimmt.Überprüft haben die Beamten diese Aussage allerdings nicht. Ihre Freundin behauptet nämlich: „Sie war nie schwanger, hat auch nie ein Kind verloren.“

Das sagt die Freundin der Entführerin:
"Babysachen sind bereitgelegen..."

ÖSTERREICH: Haben Sie eine Erklärung für diese Tat?
Birgit A.: „Sie hat sich halt so sehr ein Kind gewünscht. Immer wieder hat sie uns erzählt, dass sie jetzt einen Freund hat, schwanger sei. Wir haben uns für sie gefreut, aber ihre Erzählungen haben nie gestimmt. Sie hat sich da in einen Lügenturm hineingeredet.

ÖSTERREICH: Im Verhör sprach sie von einer Fehlgeburt vor der Entführung?
Birgit A.: Nein, nein, das stimmt doch alles nicht. Sie war nie schwanger, hat auch kein Baby verloren, das kann ich mit 99-prozentiger Sicherheit sagen. Sie ist so nett, freundlich, g’scheit, hat ein hübsches, liebes Gesicht. Ein Auto, eine eigene Wohnung, aber sie hat sich da in einen Albtraum hineingeredet …

ÖSTERREICH: Sie soll sogar mit einem Kinderwagen mit einer Holzpuppe drin durch Kössen gefahren sein, stimmt das?
Birgit A.: Sie hat sogar ihre Wohnung hergerichtet – Kinderzimmer, Babykleidung, Kinderwagen. Sie hat so getan, als wäre alles in Ordnung und sie müsse sich ganz intensiv auf ihre Rolle als Mutter vorbereiten. Sie hat sich so reingesteigert, dass sie offensichtlich keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat, als ein Kind zu entführen. Alle haben wir ihre Geschichte gehört, und alle haben wir bemerkt, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmen kann.

ÖSTERREICH: Was meinen Sie damit?
Birgit A.: Geahnt haben wir alle was. Ich mach’ mir jetzt wirklich große Vorwürfe, dass ich nicht den Mut hatte, sie direkt auf ihre Lügen anzusprechen. – Hör zu,, das stimmt ja alles nicht, was du erzählst. Es gibt keinen Freund, du bist nicht schwanger, du redest dich da in einen Wahn hinein. Vielleicht wäre es nie soweit gekommen, hätte ich mit ihr geredet. Ich danke Gott, dass nichts Schlimmeres passiert, zum Glück…

Ortschef: "Verhalten von Frau auffällig"
Das Verhalten der Frau sei schon auffällig gewesen, meinte der Bürgermeister der Gemeinde im Bezirk Kitzbühel, in der die mutmaßliche Baby-Entführerin lebt, am Freitag. Deshalb habe die Bevölkerung gut und couragiert reagiert und schnelle Hinweise geliefert, nachdem die Polizei nach dem Vorfall am Mittwoch einen Zeugenaufruf machte. Die 32-Jährige habe sich dadurch bereits verdächtig gemacht.

Die Frau habe von einer Schwangerschaft gesprochen und einen Kinderwagen vor der Wohnung abgestellt gehabt. Persönlich seien dem Ortschef diese Vorgänge nicht bekanntgewesen, allerdings habe es im Dorf Gespräche gegeben und die Gerüchte seien ihm zu Ohren gekommen.

Die Frage bleibt: Wie kam es dazu?
Nach Angaben des Bürgermeisters sei die Frau in "gänzlich geordneten" Familienverhältnissen in der Gemeinde aufgewachsen. Ihre Jugend habe sie in einem "normalen Umfeld" verbracht. Wie es zu einem derartigen Vorfall kommen konnte, entziehe sich seiner Kenntnisse, erklärte der Bürgermeister.

Von einer "sehr braven, sehr fleißigen und allseits recht beliebten Mitarbeiterin" sprach der ehemalige Arbeitgeber der Verdächtigen. Neun Jahre habe die Frau bei ihm gearbeitet. Für ihn sei der aktuelle Vorfall überraschend. "Niemand hätte gedacht, dass das passiert", sagte der ehemalige Arbeitgeber.

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