England muss weiter auf seinen ersten Titelgewinn seit WM 1966 warten - Trainer Gareth Southgate hatte bei seinen Einwechslungen ein unglückliches Händchen.
Italien hat einem starken EM-Turnier am Sonntag die Krone aufgesetzt. Die "Squadra Azzurra" ist zum zweiten Mal nach 1968 Fußball-Europameister. Die Italiener rangen England am Sonntagabend im Finale in London in einem dramatischen Elfmeterschießen mit 3:2 nieder. Zum Helden avancierte Torhüter Gianluigi Donnarumma, der die beiden letzten englischen Elfer parierte. In der regulären Spielzeit hatte Leonardo Bonucci (67.) Englands frühe Führung durch Luke Shaw (2.) egalisiert.
Die Entscheidung vom Punkt war eine Achterbahn der Gefühle. Für Italien vergaben Andrea Belotti und Jorginho. Bei den Engländern hatte Trainer Gareth Southgate kein glückliches Händchen. Allen eingewechselten Youngsters Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka versagten die Nerven. Für England war es die vierte Niederlage in Folge in einem EM-Elfmeterschießen. Jene 1996 im Halbfinale der Heim-EM gegen Deutschland hatte Teamchef Gareth Southgate damals noch als Aktiver mit dem entscheidenden Fehlschuss zu verantworten gehabt.
Die Italiener sind seit September 2018 mittlerweile 34 Spiele ungeschlagen. Roberto Mancini, der das Team nach der verpassten WM 2018 am Tiefpunkt übernommen hatte, führte den vierfachen Weltmeister im vierten EM-Finale zum zweiten Titel. Die Endspiele 2000 und 2012 waren jeweils verloren gegangen. Die Engländer gingen bei ihrer ersten EM-Finalteilnahme leer aus. Das Mutterland des Fußballs wartet weiter seit der Heim-WM 1966 auf einen großen Titelgewinn.
Überraschender Taktik-Griff
Beide Teams knieten vor Spielbeginn als Zeichen gegen Rassismus. England musste ohne den verletzten Offensiv-Jungstar Phil Foden auskommen, Southgate wählte vor 67.173 Zuschauern eine noch defensivere Taktik als zuletzt. Mit Kieran Trippier ersetzte ein zusätzlicher Verteidiger in der Startformation den deutlich offensiveren Saka. Die Engländern agierten dadurch wie im Achtelfinale gegen Deutschland (2:0) hinten mit einer Dreierkette - an den Flügeln unterstützt von Trippier und Shaw.
Und genau dieses Duo sorgte nach 116 Sekunden für einen Blitzstart: Nach Flanke von Trippier traf Manchester-United-Profi Shaw ebenso unbedrängt mit links halbvolley ins kurze Eck. Es war nicht nur das schnellste Tor der Geschichte in einem EM-Finale, sondern einen Tag vor dessen 26. Geburtstag auch Shaws erstes im Nationalteam. Southgate ballte die Faust, der Regen nahm zu. Die Italiener, mit exakt derselben Elf wie im Halbfinale gegen Spanien gestartet, wirkten geschockt. 18 Partien in Folge waren sie zuletzt nicht in Rückstand geraten.
England beschränkte sich auf das Verwalten der Führung. Den Italienern, die nach starkem Turnierstart schon im Achtelfinale gegen Österreich (2:1 n.V.) phasenweise gewackelt hatten, fehlten trotz deutlich mehr Ballbesitz lange die Ideen. Den ersten Warnschuss gab Federico Chiesa nach einem Solo in der 35. Minute ab. Ein Dropkick des in der K.o.-Phase enttäuschenden Goalgetters Ciro Immobile wurde geblockt, der Nachschuss von Marco Verratti bereitete England-Keeper Jordan Pickford keine Probleme (45.+1).
Berardi verpasste italienischen Doppelschlag
Ein Freistoß von Lorenzo Insigne verfehlte das Kreuzeck (51.), einen guten Schuss von Chiesa entschärfte Pickford (62.). Die Engländer standen auch nach Seitenwechsel sehr tief, das sollte sich rächen: Nach einem Corner des eingewechselten Domenico Berardi lenkte Pickford einen Verratti-Kopfball an die Stange, Bonucci staubte aus einem Meter ab. Der 34-Jährige avancierte zum ältesten Torschützen in einem EM-Finale. Es war sein 18. Einsatz in einem EM-Spiel. Der Innenverteidiger-Routinier löste damit Torhüter-Legende Gianluigi Buffon als Italiens Rekordhalter ab.
Berardi verpasste einen italienischen Doppelschlag, sein Abschluss nach Bonucci-Steilpass ging über das Tor (73.). Die Italiener verzeichneten am Ende fast doppelt so viele Pässe und über 60 Prozent Ballbesitz, eine Entscheidung gelang ihnen in der Verlängerung aber nicht. Pickford warf sich unorthodox in eine gefährliche Flanke von Emerson (103.), der nach dessen im Viertelfinale gegen Belgien (2:1) erlittenen Achillessehnenriss erneut Leonardo Spinazzola vertrat. Der bis zu seiner Verletzung so starke Offensivverteidiger war mit einem Gipsbein in London, um sein Team zu unterstützen.
Englands famoser Elfer-Fluch geht weiter
Erst zum zweiten Mal nach 1976, als der spätere Rapidler Antonin Panenka die Tschechoslowakei gegen Deutschland ins Glück schupfte, musste ein EM-Finale im Elfmeterschießen entschieden werden. In diesem trafen für Italien Berardi, Kapitän Giorgio Chiellini und Federico Bernardeschi, ehe Jorginho mit der Chance auf die vorzeitige Entscheidung an Pickford und der Stange scheiterte. Im Halbfinale gegen Spanien hatte er den entscheidenden Versuch noch lässig verwertet.
Bei den Engländern waren allerdings nur Kapitän Harry Kane und Harry Maguire erfolgreich. Rashford traf nach kuriosem Trippel-Anlauf die Stange, der ebenso extra für das Elferschießen eingewechselte Sancho scheiterte an Donnarumma. Den entscheidenden Versuch vergab schließlich Saka. England hat damit nicht nur sieben von neun Elfmeterschießen bei großen Turnieren verloren, sondern auch in allen fünf Duellen mit Italien bei Endrunden den Kürzeren gezogen. Die Titel-Durststrecke geht weiter - auch wenn die "Three Lions" sechs von sieben EM-Partien daheim in Wembley bestreiten durften.