Kunsthistorisches Museum

Lucian Freud in Wien angekommen

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Essenz des Lebenswerk von Lucian Freud in der Gemäldegalerie im KHM Wien.

Lucian Freud ist endlich in Wien angekommen. Mit einer Ausstellung in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums (KHM), die in 43 Bildern die Essenz seines Lebenswerks darstellt, wird die Arbeit des 2011 verstorbenen britischen Malerfürsten zum ersten Mal in der Heimat seines Großvaters Sigmund gezeigt - und zwar gründlich: "Lucian und ich haben jeweils eine Liste erstellt und konnten fast alle Gemälde davon bekommen", erklärte Kurator Jasper Sharp beim APA-Vorabbesuch. Ab 8. Oktober ist die intensive Ausstellung für das Publikum geöffnet.

Letzte Freud-Schau für lange Zeit

Es werde "die letzte Freud-Ausstellung für eine lange Zeit. Die Leihgeber sind müde geworden." Den Wunsch, seine wichtigsten Werke neben - wenn auch nicht in direkter Auseinandersetzung mit - den verehrten Alten Meistern der Gemäldegalerie zu zeigen, haben Freud dennoch fast alle erfüllt. Manche Bilder sind erstmals seit Jahrzehnten in Europa zu sehen, andere haben ihre privaten Gemächer bisher kaum verlassen, wie das beeindruckende unfertige Selbstporträt aus einer britischen Sammlung. Eine Seltenheit ist es auch deshalb, weil Freud Bilder lieber zerstörte, als sie unfertig zu lassen. "Für jedes Selbstporträt, das er gemalt hat, hat er fünf andere zerstört", erzählt Sharp. "Er sah immer wieder seinen Vater durchkommen - dann riss er es in Fetzen."

Schonungslose Realität
Dennoch hat Freud mehr als vierzig Selbstporträts fertiggestellt, neun davon hängen bis 6. Jänner in Wien. "Sie sind die ehrlichsten und schonungslosesten seiner Bilder", sagt Sharp. Und das heißt bei einem Maler, für den man das Adjektiv schonungslos hätte erfinden müssen, einiges. Die Entwicklung dieser Eigenschaft von Freuds Anfängen bis zu den weltbekannten großformatigen Darstellungen nackter, dicker Menschen aus den 1980er und 90er Jahren zeichnet die Ausstellung akribisch nach. "Es scheint zwar ein bisschen langweilig, Bilder chronologisch zu hängen - aber man versteht die Entwicklungslinien seines Werks einfach viel besser", so Sharp. Als persönlicher Freund des Malers konzipierte Sharp die Ausstellung bis kurz vor Freuds Tod noch mit ihm gemeinsam.

Stillleben als Erholung  
Die Beziehung Freuds zu den Alten Meistern der Gemäldegalerie wird schon bei seinen frühesten Werken deutlich - im Aufbau seiner Porträts, aber auch seiner Stillleben, von denen Sharp unbedingt einige zeigen wollte. "Für ihn war das Erholung - er hat gesagt, wenn das Leben schwer war und er die Intensität menschlicher Modelle nicht aushalten kann, dann hat er Stillleben gemalt. Andere würden auf Urlaub fahren." Freilich hat Freud auch das getan - davon zeugt eine Darstellung von Bananen auf Jamaica, wo er als Gast von Ian Fleming eine Zeit lang wohnte. "Sie haben jeden Tag gemeinsam gefrühstückt. Dann ging Lucian und malte Bananen, und Ian ging und schrieb den ersten Bond-Roman 'Casino Royale'".

Familie als beliebtes Motiv  

In den beiden Sälen und den drei thematischen Kabinetten der Ausstellung finden sich unzählige Geliebte des Malers, aber auch seine Mutter, die er über zehn Jahre lang jeden Tag malte, viele von Freuds 13 Kindern. Die Nacktdarstellungen seiner erwachsenen Töchter sorgten für einen Skandal. Für ihn Modell saßen außerdem Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza, Francesca Habsburgs Vater, die britische Beamtin Sue Tilly, die durch Freuds mehrfache Darstellung ihres übergewichtigen nackten Körpers Kultstatus erreichte - "Benefits Supervisor Sleeping" brach im Mai 2008 mit einem Preis von 33 Millionen Dollar den Auktionsrekord für einen lebenden Künstler -, oder der australische Performancekünstler Leigh Bowery in den drei großen, zentralen Gemälden des Hauptraumes.

Harte Arbeit für Modelle
Für Lucian Freud Modell zu sitzen bedeutete über eineinhalb Jahre tägliche Arbeit. "Es gab Vormittags-, Nachmittags- und Abendsessions mit verschiedenen Modellen", so Sharp. "Er wollte, dass man da sitzt, auch wenn er an einem ganz anderen Teil des Bildes arbeitete." Im Hintergrund mancher Gemälde ist ein anderes sichtbar - weil es zur gleichen Zeit entstand und im Studio an der Wand lehnte. "Das hat unter seinen Geliebten für große Eifersucht gesorgt - eine andere nackte Frau auf den Bild zu sehen und zu wissen, das ist also sein Abend-Modell."

David Dawson war letztes Bild  
Das letzte Bild - an dem Freud bis zwei Wochen vor seinem Tod gearbeitet hat - zeigt seinen Assistenten David Dawson, an den Rändern ist noch das unfertige Weiß der Leinwand zu sehen. Dawson, der auch bei der Auswahl geholfen hat, zeigt parallel zur KHM-Ausstellung seine Fotografien von Lucian Freud im Sigmund Freud Museum in der Berggasse. Ebenfalls kurz vor seinem Tod entstand ein vom KHM in Auftrag gegebener Kurzfilm, der in der Schau gezeigt wird: "Es war das einzige Mal, dass er sich beim Malen filmen ließ", so Sharp.

Freud endlich in Wien
Die Ausstellung im KHM habe Freud, der sich aufgrund der Geschichte der Vertreibung seiner Familie lange weigerte, in Österreich und Deutschland auszustellen, in seinen letzten Monaten viel bedeutet. Neben der Auswahl der Werke hinterließ er einen klaren Wunsch: "Er wollte keinerlei direkte Auseinandersetzung mit den Alten Meistern", erklärt Sharp. "Er hat das einmal gemacht und fand sich an ein Schulprojekt erinnert - ich verstehe das absolut." Für den Besucher entsteht dadurch "ein bisschen mehr Arbeit - wir müssen seine Bilder im Kopf mit uns tragen in die restliche Gemäldegalerie". Zum von Freud so verehrten Tizian ist es zum Glück nur eine Tür weiter.

(Das Gespräch führte Maria Scholl/APA)

Info
"Lucian Freud", von 8. Oktober bis 6. Jänner, Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do 10 bis 21 Uhr, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie; "Lucian Freud: Privat. Fotografien von David Dawson", von 9. Oktober bis 6. Jänner, täglich 9 bis 18 Uhr, Sigmund Freud Museum Wien; www.khm.at; www.freud-museum.at


 

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