Kritik am neuen Grazer Zulassungstest für das Medizinstudium übt der Vizerektor der Medizin-Uni Wien (MUW), Rudolf Mallinger. Das erweiterte Aufnahmeverfahren in Graz beinhalte einen Sozialtest mit "schwerwiegenden konzeptionellen und methodischen Mängeln, die keine ausreichende Prognosekraft zulassen", so Mallinger in einer Aussendung.
Für ihn ist der Sozialtest "eher ein Gesinnungs- als ein Eignungstest". An den drei Medizin-Unis in Wien, Graz und Innsbruck startet die elektronische Voranmeldung für die Zulassung im Wintersemester 2010/11 am 1. Februar. Die drei Medizin-Unis wickeln ihr Aufnahmeverfahren zwar zu den selben Terminen ab, setzen aber auf zwei unterschiedliche Verfahren: Die Medizin-Unis Wien und Innsbruck verwenden den "Eignungstests für das Medizinstudium" (EMS), der Studien-Fähigkeiten wie medizinisch-naturwissenschaftliches Grundverständnis, räumliches Vorstellungsvermögen, Umgang mit Zahlen etc. abfragt.
Die Medizin-Uni Graz setzt dagegen auf einen Wissenstest in den Grundlagenfächern Biologie, Chemie, Physik und Mathematik sowie auf Textverständnis. Neu ist ab heuer in Graz ein "Situational-Judgement-Test" mit kurzen Beschreibungen ärztlich-relevanter Situationen, zu denen im Multiple-Choice-Format verschiedene Handlungsmöglichkeiten angeboten werden.
Erwünschte Antworten leicht zu erkennen
Mallinger kann den Einsatz dieses Verfahrens nicht nachvollziehen: Nach einer Evaluierung des Sozialtests habe man festgestellt, "dass auf den Einsatz verzichtet werden sollte, weil die richtigen bzw. sozial erwünschten Antworten zu leicht zu erkennen sind". Außerdem seien sich nur 60 Prozent der Experten einig, welche Antwort die richtige ist. "Eine seriöse Bewertung des Testergebnisses sei kaum möglich", meinte Mallinger, der "strikt gegen Experimente mit Sozialtests ist".
Die MUW bietet stattdessen heuer erstmals ein Self-Assessment an, bei dem Kandidaten sich selbst anonym über studienrelevante Persönlichkeitsmerkmale testen können. Dabei wird anonym ein Fragebogen ausgefüllt. Vorteil laut Mallinger ist, dass jeder Studienwerber "für sich selbst und ohne den Druck eines Zulassungsverfahrens" die Schlussfolgerungen aus dem Ergebnis ziehen kann. Dieser Ansatz sei "für die so genannten Soft Skills besser, weil Verfälschungstendenzen hier eine deutlich geringere Rolle spielen".
Reaktion auf Frauen-Ergebnisse
Mit den neuen Tests reagieren die Medizin-Unis wohl auf das schlechte Abschneiden von Frauen bei den Aufnahmetests. So entfielen an den drei Medizin-Unis zwischen 43 und 46 Prozent der zur Verfügung stehenden Studienplätze auf Frauen, angetreten waren überall deutlich mehr als 50 Prozent.
Die elektronische Voranmeldung läuft an allen drei Medizin-Unis von 1. bis 21. Februar, die Aufnahmetests werden am 9. Juli durchgeführt. Im Wintersemester 2010/11 stehen wie im Vorjahr insgesamt 1.500 Anfängerplätze für die Studien Humanmedizin und Zahnmedizin zur Verfügung. Davon entfallen 740 (davon 80 für Zahnmedizin) auf die Medizin-Uni Wien, 400 (davon 40 für Zahnmedizin) auf Innsbruck und 360 (davon 24 für Zahnmedizin) auf Graz.
Grazer weisen Kritik zurück
Die Medizin-Uni Graz weist die Kritik ihres Wiener Pendants am neuen Sozialtest im Rahmen ihres Aufnahmeverfahrens zurück. Der "Situational Judgement Test" sei unter Einbeziehung eines interdisziplinären Experten-Teams entwickelt worden - in Österreich sei dieser neu, international gebe es aber "gute Beispiele" dafür, hieß es in einer Aussendung. Die Wiener Medizin-Uni hatte beim Test "schwerwiegende konzeptionelle und methodische Mängel" geortet, die "keine ausreichende Prognosekraft zulassen".
Die Grazer kontern nun, dass eine erste wissenschaftliche Analyse des Aufnahmeverfahrens "dramatische Verbesserungen in punkto Studienerfolg und Reduktion der Dropout-Rate" erbracht habe und in einem internationalen Top-Journal publiziert worden sei. Universitäten sollten außerdem "idealerweise Bühnen des friedlichen Wettstreites von Ideen und Orte der Weiterentwicklung sein", hieß es in Richtung der Wiener Kollegen.