Weinen, wenn das Baby geboren ist - das passt nicht ins Bild der glücklichen Familie. Auf entsprechend wenig Verständnis stoßen Mütter, denen nach der Geburt nicht zum Lachen, sondern zum Weinen zumute ist. Postnatale depressive Verstimmungen treffen bis zu 15 Prozent aller Frauen. Je früher die Depressivität behandelt wird, desto leichter ist sie in den Griff zu bekommen.
Ärzte unterscheiden zwischen dem Babyblues und der postnatalen Depression oder Angststörung. "Von den Heultagen sind 50 bis 80 Prozent aller Frauen betroffen", sagt Corinna Reck vom Zentrum für Psychosoziale Medizin der Uniklinik Heidelberg. Ein Erklärungsansatz sei, dass es unter anderem aufgrund der hormonellen Umstellungen nach der Geburt zu Stimmungsschwankungen kommt, ergänzt Tamme Goecke, Oberarzt der Frauenklinik an der Uniklinik Erlangen.
Nach zwei Wochen klingen diese Stimmungsschwankungen in der Regel von allein ab. Dauert der Babyblues länger, kann er in eine postnatale Depression oder Angststörung übergehen, erklärt Reck, die leitende Psychologin einer speziellen Mutter-Kind-Station ist. Je schwerer die postnatale Depressivität ist, desto mehr litten die Frauen an Konzentrationsschwäche und Schlafstörungen, Müdigkeit und Lustlosigkeit, sie sind launig, teilnahmslos oder gereizt. Oft würden diese Symptome mit den erhöhten Anforderungen an die Mutter erklärt, sagt Goecke. "Sie werden hingenommen und nicht als schwerwiegende Symptome einer beginnenden Depression erkannt."
Es klingt paradox: Doch besonders Mütter, die sich schon lange ein Kind wünschen, Fehlgeburten erlitten oder eine komplizierte Schwangerschaft hatten, leiden häufiger an diesen postnatalen Störungen, erklärt Goecke. "Unsere Forschung zeigte auch, dass es bei einer normalen Geburt, bei der die Gebärende das Gefühl der Kontrolle hat, seltener zu postnatalen depressiven Symptomen kommt." Fühlt sich die Frau im Kreißsaal aber ausgeliefert, erhöhe sich das Risiko.
Postnatale Depressionen können auch andere Frauen erwischen. Besonders gefährdet sind Mütter, die sehr jung sind, schon früher unter Depressionen litten, in einer schwierigen Beziehung leben oder nur wenig Unterstützung durch den Partner bekommen, sagt Goecke. "Eine unbehandelte Depression erhöht das Risiko für weitere Depressionen", warnt Prof. Stephanie Krüger von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin. "Wenn sich eine depressive Mutter aufgrund ihrer Erkrankung weniger mit dem Kind auseinandersetzt, kann dies die emotionale und kognitive Entwicklung des Kindes langfristig beeinträchtigen", fügt Goecke hinzu.
Zur Behandlung gibt es verschiedene Verfahren: Bei leichten Depressionen hätten sich kognitive Verhaltenstherapien und die interpersonelle Psychotherapie bewährt, erklärt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln. Bei ersterer geht es darum, negative Gedanken und Verhaltensweisen zu ändern. Bei letzterer versucht der Therapeut mit der Frau zu erarbeiten, wie sie besser mit den Veränderungen in ihrem Leben zurecht kommen kann.
Zur Behandlung einer mittleren oder schweren Depression brauche es Medikamente, sagt Krüger, die zum Einsatz von Psychopharmaka bei postnatalen Depressionen geforscht hat. "Es gibt eine Reihe Antidepressiva, die nur in einem geringen Teil in die Muttermilch übergehen und mit denen das Stillen ermöglicht werden kann."
Das sieht das IQWiG vorsichtiger. Es gebe keine ausreichenden Daten, weshalb es extrem schwierig sei, einen Schaden für das Kind auszuschließen, sagt Hilda Bastian vom IQWiG. Müttern bleibe nichts anderes übrig, als mit ihrem Arzt über Nutzen und Risiken zu sprechen. Auch Prof. Krüger rät betroffenen Müttern, dringend einen Psychiater aufzusuchen: "Die Frauen haben nicht einfach einen schlechten Tag, sondern eine behandlungsbedürftige Krankheit."