Kein Allheilmittel, aber ein Meilenstein. Dieses Medikament bekämpft als erste Arznei die Alzheimer-Ursache und kann so ein Fortschreiten verlangsamen.
Alzheimer lässt Menschen langsam verschwinden. Sie verlieren ihr Gedächtnis, ihre Fähigkeiten, ihre Sprache ... bis zu 150.000 Menschen sind in Österreich von dieser Form der Demenz betroffen. Neue Hoffnung gibt es für all jene, die in einem frühen Stadium diagnostiziert werden. Seit kurzem steht dieser Gruppe ein innovatives Medikament zur Verfügung.
Was ist daran revolutionär?
Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, jedoch nicht die Ursache im Gehirn. Das in der EU frisch zugelassene Alzheimer-Medikament Leqembi mit dem Alzheimer-Antikörper Lecanemab soll nun erstmals in die ursächlichen Prozesse der Erkrankung eingreifen. Die Hoffnung ist, dass das Medikament, wenn es in einer frühen Phase der Erkrankung eingesetzt wird, das Fortschreiten verlangsamt.
Die Ursache von Alzheimer ist komplex und nicht vollständig geklärt – aber die Forschung hat mehrere Schlüsselmechanismen identifiziert, die zur Entstehung und zum Fortschreiten beitragen. Eine der Hauptursachen für den fortschreitenden Verlust des Gedächtnisses sind Verklumpungen von Proteinen im Gehirn. Diese Ablagerungen (Plaques) führen dazu, dass Gehirnzellen geschädigt werden und absterben. Das Medikament soll krankhafte Eiweißablagerungen aus dem Gehirn entfernen, sodass weniger Nervenzellen zerstört werden. Je weniger Nervenzellen zerstört werden, desto besser für den Verlauf. Der Verlust des Gedächtnisses wird hinausgezögert.

Nebenwirkungen und Komplikationen
ABER: Wo eine Wirkung ist, da ist auch eine Nebenwirkung – bei Leqembi zeigten sich in den Zulassungsstudien derart große, dass das Medikament beim ersten Zulassungsantrag von der EU abgelehnt wurde. Eine Gabe kann zu ARIA führen. Dabei kommt es zu Anschwellungen (ARIA-E) oder Blutungen (ARIA-H) im Gehirn. In den meisten Fällen verliefen die ARIA unproblematisch oder symptomlos, einige Patienten waren jedoch von schweren Verläufen betroffen. Aus diesem Grund wurde 2024 ein erster Zulassungsantrag für Leqembi abgelehnt: Das Risiko übersteige den Nutzen, hieß es. Der genehmigte zweite Zulassungsantrag schließt nun Patient:innen mit einer bestimmten genetischen Konstellation (Anm.: zwei Kopien des Gens für Apolipoprotein E4) aus, da für diese ein erhöhtes Risiko für ARIA besteht. Zugelassen ist Lecanemab zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium. Denn: Eine Entfernung der Plaques nützt nichts mehr, wenn sie schon Schäden im Gehirn angerichtet haben. Die Krux: Alzheimer wird oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Laut Expert:innen kommt die Therapie daher nur für einen geringen Teil der Betroffenen in Frage.
gesund&fit fragte bei Neurologin Dr. Jasmin Kechvar nach, wem sie dieses Medikament empfiehlt, wie man zu einer frühen Diagnose kommt und wie viel Hoffnung man schöpfen darf.

Mit Leqembi wurde im April erstmals ein Medikament in der EU zugelassen, das nicht nur Symptome lindern, sondern direkt in die Prozesse der Alzheimer-Krankheit eingreifen soll. Was steckt dahinter?
PRIM. DR. JASMIN KECHVAR: Das ist tatsächlich ein großer Schritt. Leqembi, also der Wirkstoff Lecanemab, ist der erste Antikörper in Europa, der direkt gegen die Ablagerungen von Amyloid-Beta im Gehirn wirkt. Diese Eiweißstoffe gelten als eine der Hauptursachen für Alzheimer – sie verklumpen, bilden sogenannte Plaques und stören die Kommunikation zwischen Nervenzellen. Die Nervenzellen sterben ab und Betroffene verlieren ihr Gedächtnis. Lecanemab erkennt diese Ablagerungen, macht sie für das Immunsystem sichtbar und hilft so dem Körper, sie abzubauen.
Was zeigt die bisher größte Studie zu dem Medikament?
Dr. KECHVAR: In der internationalen Phase-III-Studie Clarity-AD mit rund 1.800 Patient:innen im Frühstadium der Erkrankung wurde gezeigt, dass Lecanemab das Fortschreiten der kognitiven Verschlechterung um rund 27 Prozent im Vergleich zu Placebo verlangsamen kann – über einen Zeitraum von 18 Monaten. Das bedeutet: Es ist keine Heilung, aber ein klarer Zugewinn an Zeit.
Wer kann mit Leqembi behandelt werden?
Dr. KECHVAR: Der Einsatz ist nur im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit sinnvoll – also bei Patient:innen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI). Wichtig ist: Es muss sich klar um eine Alzheimer-Erkrankung mit Ablagerungen im Gehirn handeln. Das heißt, andere Demenzformen wie vaskuläre Demenz oder Lewy-Körper-Demenz sind ausgeschlossen.
Wie wird die Diagnose gesichert?
Dr. KECHVAR: Zunächst durch eine umfassende neurologische Untersuchung, neuropsychologische Tests und Bildgebung wie ein MRT. Um die Amyloid-Ablagerungen wirklich nachzuweisen, braucht es derzeit entweder eine Lumbalpunktion oder eine Amyloid-PET-Untersuchung. Das ist sehr aufwendig, aber notwendig. In naher Zukunft könnten allerdings auch Bluttests diese Diagnose erleichtern.
Wie wird das Medikament verabreicht?
Dr. KECHVAR: Aktuell wird Leqembi als Infusion alle zwei Wochen über eine Stunde gegeben. Die erste Infusion wird engmaschig überwacht, weil infusionsbedingte Reaktionen wie Fieber oder Blutdruckanstieg auftreten können. In Studien wird bereits eine subkutane Version für die Selbstanwendung zu Hause getestet – das wäre natürlich eine enorme Erleichterung für Betroffene.
Wie lange dauert die Behandlung?
Dr. KECHVAR: Das ist bisher nicht abschließend geklärt. In der Clarity-AD-Studie wurde der Wirkstoff über 18 Monate gegeben. Bislang gibt es keine Studiendaten, die eine Therapie über den Zeitraum von eineinhalb Jahren hinaus empfehlen würden.
Welche Einschränkungen oder Risiken gibt es bei der Anwendung?
Dr. KECHVAR: Es gibt eine Reihe von medizinischen Gründen, die dazu führen, dass ein Patient/ eine Patientin mit Alzheimer Lecanemab nicht erhalten kann. Menschen mit bestimmten genetischen Risikofaktoren, etwa zwei Kopien des ApoE4-Gens, haben ein höheres Risiko für Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder Mikroblutungen. Auch bei Patient:innen mit Gerinnungsstörungen, Autoimmunerkrankungen oder unter Blutverdünnung ist Vorsicht geboten. Und MRT-Kontrollen sind essenziell – das ist bei Menschen mit Platzangst, Herzschrittmachern oder Metallimplantaten oft nicht möglich.
Wie häufig treten Nebenwirkungen auf?
Dr. KECHVAR: In der Zulassungsstudie kam es bei 26 Prozent der Teilnehmer:innen zu infusionsbedingten Reaktionen – etwa Fieber, Schüttelfrost oder Hautausschlag. Bei etwa 13 Prozent traten Hirnödeme, bei 17 Prozent kleine Hirnblutungen auf – meist symptomlos, aber im MRT sichtbar. Bei einem sehr kleinen Teil – rund 0,7 Prozent – waren die Nebenwirkungen schwerwiegender.
Wie steht es um die Verfügbarkeit in Österreich?
Dr. KECHVAR: Das Medikament ist seit April 2025 in der EU zugelassen, aber wann genau es in Österreich erhältlich sein wird, ist noch offen. Auch ob und in welchem Umfang die Krankenkassen die hohen Kosten übernehmen, ist nicht geklärt – in den USA kostet die Therapie rund 23.000 Euro pro Jahr und Patient:in.
Wann wird Alzheimer heilbar sein?
Dr. KECHVAR: Heilbar ist Alzheimer leider nicht – und vermutlich auch in absehbarer Zeit nicht. Aber wir erleben den Beginn einer neuen Ära: Medikamente, die in die Krankheitsmechanismen eingreifen, können das Fortschreiten erstmals verlangsamen. Ein Meilenstein! Die Schädigung des Gehirns, die durch Alzheimer verursacht wird, ist allerdings nicht rückgängig zu machen. Prävention bleibt daher entscheidend. Der größte Risikofaktor für Demenzerkrankungen wie Alzheimer ist das Alter. Altwerden können wir nicht verhindern. Aber es gibt Risikofaktoren, die wir kontrollieren bzw. ausschalten können – etwa Bluthochdruck, einen hohen Cholesterinspiegel, Diabetes, Seh- und Hörverlust oder Übergewicht. Alkohol, Rauchen, Einsamkeit und Bewegungsmangel gilt es zu vermeiden. Ganz wichtig: Bei ersten Anzeichen wie Vergesslichkeit, Problemen im Alltag oder Verwirrtheit nicht zögern und ärztlichen Rat einholen. Ich empfehle ab einem gewissen Alter oder bei familiärer Vorbelastung regelmäßige Checks beim Facharzt für Neurologie, um frühzeitig und rechtzeitig eine Diagnose und ggf. Therapie zu finden und über Risikofaktoren beraten zu werden.