Frau Stöckl, was empfinden Sie, wenn Sie zurzeit die
Berichterstattung über Hunderte Missbrauchsfälle in der katholischen
Kirche verfolgen? Barbara Stöckl: Mir geht es so wie
wahrscheinlich ganz vielen Menschen: Ich bin wütend, traurig! Es ist
aber gleichzeitig so wichtig, dass das Thema ins rechte Licht gerückt
wird. Wir müssen wachsam und sensibel sein für jede Art von
Missbrauch und Misshandlung. So schrecklich die Geschehnisse in der
Kirche sind – Tatort Nummer Eins bleibt die Familie! Also, für viele
Menschen gilt hier: wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein! Und
Wirbel und Aufregung um der Aufregung Willen hilft auch nicht
weiter. Es geht um tatsächliche Veränderung, und neben dem vollen
Mitgefühl für alle Opfer kann diese Krise auch eine Chance sein.
Haben Sie mit Kardinal Christoph Schönborn schon über die
Vorkommnisse gesprochen? Stöckl: Nein, ich habe aktuell
nicht mit ihm gesprochen, aber alle Interviews, die er dazu gegeben
hat, genau verfolgt. Man kann ihm ansehen, wie sehr ihn das alles
bedrückt. Er weiß wohl zu gut, dass es nicht nur um individuelles
Versagen und Schuld geht, sondern auch darum, Strukturen zu verändern,
was in der Kirche schwer genug ist, wie die letzten Jahrhunderte ja
zeigen.
Laut Umfragen überlegen über 1 Million Menschen, aus der Kirche
auszutreten... Stöckl: Ich bin nach der Affäre Groer aus
der Kirche ausgetreten. Die Auseinandersetzung mit dem Thema, aber
auch viele Begegnungen mit großartigen Priestern und Ordensleuten,
haben mich der Kirche wieder näher gebracht. Eigentlich hatte ich vor,
wieder einzutreten. Die Kirche hat durch diese Krise viel Vertrauen
verspielt, aber wir brauchen sie, davon bin ich überzeugt. Vielleicht
nicht ganz in der heute gelebten Form. Werte, Nächstenliebe,
karitatives Engagement, dafür steht meine Kirche eben auch. Sie hilft
Menschen in Not, hetzt nicht gegen Ausländer, Schwache, Gescheiterte.
Das ist heute so unendlich wichtig.
Der Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI. sorgt abermals für viele
Diskussionen – wie lautet Ihre Meinung zu seiner Stellungnahme? Stöckl:
Ich hätte mir mutigere Worte gewünscht.
Wie würde aus Ihrer Sicht eine passende Reaktion aussehen?' Stöckl:
Die Chance zu nutzen, jetzt einmal aufzuräumen. Es sind einzelne
Personen, die hier das Wichtigste verletzt haben, was man Kindern
entgegenbringen kann: Liebe und Vertrauen. Das ist unverzeihlich und
muss nach den Kriterien eines Rechtsstaates auch geahndet werden. Aber
es sind eben auch Strukturen, die möglicherweise ein Klima
geschaffen haben, das solche Missbrauchsfälle erleichtert:
Strukturen von Angst, Gehorsam, Misstrauen, einer verqueren
Sexualmoral. Dafür steht die Kirche heute leider auch.
Denken Sie, dass zwischen dem Zölibat und den pädophilen
Übergriffen ein Zusammenhang bestehen kann? Stöckl: Der
Zölibat alleine kann es nicht sein, denn dann gäbe es in Familien
nicht so viele Missbrauchsfälle. Aber er steht einfach auch für eine
Sexualmoral, die nicht offen, ehrlich und menschlich ist. Sexualität
ist ein menschliches Grundbedürfnis. Die Kirche hat es ja viele
Jahrhunderte ohne Zölibat gegeben, der dann hauptsächlich aus
erbrechtlichen Gründen eingeführt wurde. Ich sehe im Pflichtzölibat
keinen Sinn, würde mir einen freiwilligen Zölibat in der Kirche
wünschen. Aber natürlich hat es auch mit der Rolle der Frauen in der
Kirche zu tun. Ich wünsche mir, dass die Stellung der Frau in der
Kirche deutlich aufgewertet wird. Fängt ein Priester sich etwas mit
einer Frau an, wird er aus der Kirche ausgeschlossen, fängt er sich
was mit Kindern an, wurde er bisher bloß versetzt. Das zeigt doch sehr
deutlich einen groben Missstand!
Ist die Kirche noch zu retten? Stöckl: Natürlich. Wir
brauchen die Kirche, davon bin ich felsenfest überzeugt. Und viele
tolle Priester engagieren sich für Erneuerung. Ob die so schnell
passieren wird, da bin ich skeptisch. Aber a la longue bin ich mir
sicher.
Wie würde es funktionieren? Stöckl: Mit mehr
Offenheit, und stärkerer Betonung der positiven Seite, wie etwa die
zehn Gebote. Und in der Bibel stehen verdammt kluge Sachen, übrigens
nichts vom Zölibat!
Woran glauben Sie? Stöckl: Ich glaube an Gott, an
einen liebenden Gott, der mich hält und trägt.
Wann waren Sie das letzte Mal in einer Kirche? Stöckl: Ich
bin keine Sonntagskirchgängerin. Aber ich besuche immer wieder den
Stephansdom, um innezuhalten, ein Kerzlein anzuzünden, um zu bitten
und auch zu sagen: Danke lieber Gott!
|