Gegen tausende Hass-Poster geht Veronika Bohrn Mena mit ihrem Ehemann Sebastian Bohrn Mena juristisch vor. Das MADONNA-Gespräch über das Thema, das tausende Opfer betrifft.
Es sind Worte, Bilder, Attacken, Morddrohungen und Beschimpfungen, die einem förmlich den Atem rauben. Veronika Bohrn Mena, Publizistin, Autorin, Arbeitsmarktexpertin sowie Gründerin der Gemeinwohlstiftung Común und zweifache Mutter, ist seit vielen Jahren mit schlimmstem Hass im Netz konfrontiert.
Zusammen mit ihrem Ehemann Sebastian Bohrn Mena, der als „Parade-Linker“ u.a. aufgrund seiner chilenischen Wurzeln untergriffigst beschimpft wird, hat sie nun Klage eingereicht. Gegen jeden einzelnen Hass-Poster.
zusammen mit ihrem Ehemann, Publizist und oe24.TV- Polit-Talker Sebastian Bohrn Mena, klagt die zweifache Mutter tausende Hassposter.
Eine Massenklage gegen Hunderte, wenn nicht sogar Tausende (darunter sogar Lehrer, CEOs und Politiker:innen), die ein Prozessfinanzierer möglich macht. Im MADONNA-Interview erklärt Veronika Bohrn Mena, warum sie sich für diesen großen Schritt entschieden hat und was sie damit bewegen möchte.
"Vielen macht es sogar Spaß, Aufmerksamkeit zu bekommen"
Frau Bohrn Mena, wann haben diese schrecklichen Hasspostings und Attacken gegen Sie begonnen?
Veronika Bohrn Mena: Das war schon vor vielen Jahren, als ich auf Social Media aktiver wurde – damals noch auf Twitter, lange bevor ich in der Öffentlichkeit so bekannt war. Später, als ich in der Gewerkschaft tätig war und erste Medienauftritte hatte, kamen auch dort die Attacken. Anfangs habe ich versucht, das zu ignorieren, in der Hoffnung, dass es von selbst weniger wird.
Als das nichts änderte, habe ich begonnen, einzelne Postings öffentlich zu machen – in der Annahme, dass sich die Verfasser vielleicht schämen, wenn sie damit konfrontiert werden. Heute weiß ich: Den allermeisten ist das völlig egal, oft macht es ihnen sogar Spaß, Aufmerksamkeit zu bekommen.
In den letzten Jahren ist es ja sogar noch schlimmer geworden, oder?
Bohrn Mena: Ja, massiv. Die Übernahme von Twitter durch Elon Musk hat die Plattform deutlich aggressiver gemacht. Früher moderierte Inhalte sind jetzt sichtbar, die Stimmung ist rauer geworden. Aber es liegt nicht nur an Twitter – auch auf Facebook, Blue Sky oder anderen Plattformen spüre ich, dass die Menschen seit zwei, drei Jahren aggressiver auftreten und keine Hemmungen haben.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Bohrn Mena: Das hat mehrere Ursachen. Corona war sicher ein Auslöser – plötzlich waren viele verunsichert und hatten viel Zeit online. Danach kamen die hohen Energiepreise, die Inflation, steigende Mieten und eine generelle wirtschaftliche Belastung. Viele sind extrem angespannt. Gleichzeitig gibt es Politiker:innen, die diese Stimmung bewusst nutzen, Aggressionen schüren und mit radikalen Aussagen mobilisieren.
Schlimmste Drohungen und Beschimpfungen (wie diese von einem Hassposter genauso gestaltete), sowie grauenvolle Fotos erhält Veronika Bohrn Mena regelmäßig.
"Das Hass im Netz-Gesetz ist ein zahnloser Tiger"
Gibt es tatsächlich Politiker:innen, die selbst solche Postings absetzen?
Bohrn Mena: Ja, leider. Es gibt nicht wenige, die selbst heftigste Postings raushauen, statt ihrer Vorbildfunktion gerecht zu werden. Das ist ein Unterschied zu Deutschland, wo Parteien – egal welcher Couleur – so etwas nicht dulden. Dort klagen Politiker:innen viel häufiger und setzen klare Grenzen.
2021 trat das neue „Hass im Netz“-Gesetz in Kraft. Hilft das denn gar nicht?
Bohrn Mena: Meiner Erfahrung nach: nein! Es ist ein zahnloser Tiger, weil Betroffene den gesamten Aufwand selbst tragen müssen. Man muss Postings sichern, Täter ausforschen, Beweise sammeln und dann auch noch Anwälte bezahlen. Das können sich nur wenige leisten. Dazu kommt: Plattformen wie Telegram, TikTok oder X geben so gut wie keine Nutzerdaten heraus. Bei Meta – also Facebook und Instagram – funktioniert es noch, aber auch nicht immer.
Sie haben nun zusammen mit Ihrem Ehemann eine Massenklage gegen die schlimmen Attacken gegen Sie beide gestartet...
Bohrn Mena: Genau. Wir arbeiten mit einem Prozessfinanzierer zusammen, der die Kosten übernimmt und im Erfolgsfall einen Teil der zugesprochenen Beträge bekommt. Das macht es uns möglich, auch ältere Fälle – bis ins Jahr 2021 – zu verfolgen. Es geht uns nicht nur um die einzelnen Verfahren, sondern auch darum, das Problem sichtbar zu machen und eine abschreckende Wirkung zu erzielen, gerade bei Politiker:innen.
Von wie vielen Klagen sprechen wir da?
Bohrn Mena: Wir haben Tausende problematische Postings dokumentiert, die meisten davon auf FPÖ-nahen Seiten. Bisher haben wir rund 100 Klagen eingebracht, davon etwa ein Drittel gegen FPÖ-Funktionäre – oft Lokalpolitiker, die glauben, dass für sie andere Regeln gelten. Und es werden noch viel mehr werden.
Sie werden seit Jahren im digitalen Raum attackiert. Wie oft werden Sie auf der Straße beschimpft?
Bohrn Mena: In 15 Jahren ist das tatsächlich nur ein einziges Mal vorgekommen. Online fühlen sich viele sicher und stark, weil sie hinter einem Bildschirm sitzen. Auf der Straße sagen sie einem nichts ins Gesicht.
Veronika Bohrn Mena setzt sich auch für andere Betroffene ein.
"Wir sind aufs Land gezogen - aus Sicherheits- und aus Nerven-Gründen"
Sind Frauen besonders betroffen?
Bohrn Mena: Die Angriffe gegen Frauen sind meistens sexualisiert, verbunden mit Gewaltfantasien. Männer werden selten für ihr Aussehen oder ihre Stimme kritisiert, dafür erhält mein Mann meist schrecklich rassistische Anfeindungen. Aber ich denke, Frauen sind öfter betroffen. Das führt leider auch dazu, dass sich viele Frauen aus Social Media zurückziehen. Ich halte das für einen Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung, weil es den öffentlichen Raum wieder stärker Männern überlässt.
Gab es Drohungen, die Sie persönlich besonders getroffen haben?
Bohrn Mena: Ja. Neben den üblichen sexuellen Gewaltfantasien gab es auch direkte Drohungen gegen unsere Familie. In einer Zeit, in der wir Personenschutz hatten, schrieb jemand, er wisse genau, wo wir uns befinden, und drohte unserem Sohn Gewalt an. Das war einer der Gründe, warum wir aus der Wiener Innenstadt aufs Land gezogen sind – aus Sicherheits- und aus Nerven-Gründen. Man weiß nie, ob es nur leeres Gerede ist.
Warum ziehen Sie sich nicht aus Social Media zurück?
Bohrn Mena: Zum einen beruflich unmöglich, zum anderen politisch falsch. Wenn man sich zurückzieht, gibt man diesen Leuten Macht.Sie haben dann erreicht, was sie wollten – dass man verstummt. Das betrifft nicht nur mich, sondern viele Frauen in der Öffentlichkeit.
Was müsste sich unbedingt ändern?
Bohrn Mena: Wir brauchen kostenlosen Rechtsbeistand für Betroffene oder einen staatlichen Rechtshilfefonds, wie er für andere Gewaltopfer existiert. Es muss möglich sein, ohne eigene Kosten gegen digitale Gewalt vorzugehen. Außerdem müssten Behörden besser ausgestattet werden, um schnell reagieren zu können. Die frühere Justizministerin war überzeugt, ihr Gesetz sei ausreichend – das ist es aber nicht. Auch das neue Dickpic-Verbot ist zu eng gefasst und lässt zu viele Lücken. Und: die politische Debattenkultur ist so verroht, dass wir stärkere Maßnahmen brauchen, um Respekt und Fairness wiederherzustellen.
Gibt es schon erste Ergebnisse Ihrer Massenklage?Bohrn Mena: Ja, es gibt erste Unterlassungsaufforderungen und Löschanordnungen gegen Seitenbetreiber. Strafrechtliche Urteile werden wohl noch ein halbes Jahr dauern. Aber wir sind überzeugt: Nur spürbare Strafen sorgen langfristig für Abschreckung – wie im Straßenverkehr halten sich viele erst dann an Regeln, wenn sie wissen, dass Verstöße Konsequenzen haben.