Vor 13 Jahren fing Paulita Pappel als Pornodarstellerin an zu arbeiten. Inzwischen ist sie Porno-Entrepreneurin. Das Interview über ihr neues Buch, eine Streitschrift pro Sexfilme.
"Pornos können eine Orientierungshilfe sein, damit wir uns selbst besser verstehen“, sagt Paulita Pappel, die es jedenfalls genau so erlebte. Während ihres Studiums fing die in Spanien geborene und in höchst konservativen Verhältnissen aufgewachsene Powerfrau an, in Pornos mitzuspielen. Aus Lust daran. Inzwischen ist die 35-jährige Wahl-Berlinerin Regisseurin und Intimitätskoordinatorin an Sets für Sexfilme. Und: Die Feministin bezeichnet sich als Sex-Entrepreneurin und kämpft dafür, Pornos aus der Schmuddelecke zu holen und diese als Werkzeug der Emanzipation ins rechte Licht zu rücken.
In ihrem neuen Buch „Pornopositiv“ gibt sie Einblicke in die umstrittene Branche und erklärt, was Pornografie mit Selbstbestimmung zu tun hat. Das MADONNA-Interview:
Sie schreiben: „Wir müssen mehr über Sex reden“ – ist unsere Gesellschaft nicht ohnehin sehr sexualisiert?
Paulita Pappel: Es ist ein Irrglaube, dass die Gesellschaft wirklich sexualisiert ist. Dass Sexualität in der Werbung und in vielen anderen Bereichen eine große Rolle spielt, heißt nicht, dass wir einen gesunden Umgang mit Sexualität haben. Für einen gesunden Umgang müssen wir über Sex sprechen und wir müssen das Konzept der sexuellen Selbstbestimmung ins Zentrum rücken. Wir haben immer noch keinen positiven, unbeschwerten Umgang mit der Sexualität. Das muss sich ändern. So lange das Thema mit Scham und unterschwelligen negativen Botschaften behaftet ist, werden wir nicht glücklich sein.
Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert, als Sie 2010 als Pornodarstellerin zu arbeiten begonnen haben?
Pappel: Mit viel Unverständnis, weil ich wohl nicht jemand bin, von dem das Umfeld gedacht hätte, dass ich Interesse an Pornografie habe. Von daher war das für viele überraschend – und natürlich hat man mit viel Negativität darauf reagiert. Ich musste viele Hindernisse überwinden – auch später als Filmproduzentin.
Sie bezeichnen sich selbst als Feministin – die Pornografie wird aber von vielen Feministinnen als frauenfeindlich und sexistisch kritisiert. Wie sehen Sie das?
Pappel: Ich würde mich freuen, wenn diese Narrative, die seit über 50 Jahren im feministischen Mainstream immer wieder wiederholt werden, reflektiert werden würden. Ich würde dazu raten, sich einmal mit Sexarbeiterinnen zusammenzusetzen und ihnen zuzuhören. Es ist schon merkwürdig, dass das Thema hauptsächlich von Menschen behandelt und bekämpft wird, die überhaupt keinen Bezug dazu haben. Ich kann das durchaus nachvollziehen, denn auch ich bin mit dem Glaubenssatz aufgewachsen, dass Pornografie etwas Schlechtes ist. Vor allem wir Frauen sind vom Thema Gewalt, gerade im sexuellen Bereich, geprägt und konfrontiert. Von daher kann ich es wirklich nachvollziehen. Aber zum Glück konnte ich das reflektieren und mich davon überzeugen, dass sehr viele Lügen über diese Branche verbreitet werden. Wir müssen über unsere Ängste und Traumata hinauswachsen – und das können wir nur, wenn wir damit aufhören, exzessive Sexualität als etwas Gefährliches darzustellen.
Es ist auch immer wieder von Ausbeutung der Sexarbeiterinnen die Rede. Findet diese denn nicht statt?
Pappel: Ich muss die Gegenfrage stellen: Was meinen Sie mit „Ausbeutung“? Wird die Person, die an der Kassa um einen Mindestlohn arbeitet, ausgenutzt? Dann würde ich sagen: Ja, klar – in der Pornobranche gibt es sehr viele Menschen, die ausgenutzt werden. Genauso wie in der gesamten Filmbranche, in der Pflege, in der Gastronomie … überall. Wenn Sie aber meinen, dass Frauen unter Androhung von Gewalt dazu gezwungen werden, Pornos zu drehen und Dinge zu machen, die sie nicht machen wollen, lautet die Antwort ganz klar: Nein! Natürlich gibt es viele, die es machen, weil sie hier mehr bezahlt bekommen als in anderen Jobs. Aber wir leben im Kapitalismus – natürlich gibt es viele, die den Job nicht machen würden, wenn sie reich wären. Aber es werden hier keine Straftaten begangen. Es ist ganz klar zu sagen, dass Pornos rein gar nichts mit Straftaten wie Kinderpornografie – sprich Missbrauch – oder Rachepornos zu tun haben. Das sind Gräueltaten, die strengstens zu verfolgen und zu verurteilen sind. Pornos sind Produkte, die im Einvernehmen aufgenommen und veröffentlicht werden. Natürlich sind die Bedingungen an manchen Sets besser und an anderen vielleicht weniger gut – aber darum sollte sich der Gesetzgeber kümmern. Wäre Pornografie nicht ein derartiges Tabuthema, könnten ja Regulierungen stattfinden und auch die Rechte dieser Arbeiter:innen besser geschützt werden.
Bei dem ersten Film, in dem Sie mitgespielt haben, führte eine Frau Regie. Haben Sie absichtlich eine Frau gewählt – weil Frauen vielleicht Pornos anders gestalten als Männer? Oder ist auch das ein Klischee?
Pappel: Ich wollte unbedingt mit einer Person zusammenarbeiten, die sich als Feministin versteht. Deshalb kam eher eine Frau in Frage. Dazu muss man sagen, ich habe am Anfang ja gar kein Geld damit verdient, sondern habe das aus Lust an Pornos gemacht. Von daher war es klar, dass ich es mit Menschen machen will, die derselben politischen Überzeugung sind wie ich. Aber ich tue mir schwer, pauschal zu sagen, dass Frauen Pornos anders drehen als Männer – es gibt mittlerweile viele Frauen in der Mainstream-Industrie, bei deren Filmen man keinen Unterschied zu von Männern produzierten Filmen sehen würde. Das ist so wie mit der Annahme, dass Frauen auf eine andere Art von Pornos stehen. Viele sagen: Frauen wollen lieber eine Geschichte, es muss romantisch sein … (lacht) Das ist doch zum Lachen. In anderen Dingen sind wir so weit, aber beim Thema Pornografie werden totale Stereoptype angewandt.
Sie thematisieren auch die mangelnde Kommunikation zwischen Partnern, was Sex betrifft. In Ihrem Buch erzählen SIe, dass Sie am Porno-Set das erste Mal gefragt wurden, worauf Sie stehen, was Sie machen möchten und was nicht …
Pappel: Ja, so war es auch. Ich habe durch die Pornobranche überhaupt erst meine eigenen Bedürfnisse kennengelernt und gelernt, diese zu kommunizieren. Ohne Scham und mit den richtigen Worten – weil man dazu quasi auch gezwungen ist, denn an jedem Set gibt es Intimitätskoordinatorinnen, die vor dem Dreh ganz genau abfragen, wie es dir geht, was für dich okay ist und was nicht. Auch das wissen viele nicht – es wird sehr respektvoll mit den Darsteller:innen umgegangen.
Es wird immer wieder kritisiert, dass Pornos völlig irreale Vorstellungen suggerieren. Sie sagen, das tun Liebesfilme auch …
Pappel: In beiden Fällen müssen die Menschen aufgeklärt werden, um zu lernen, wie ich damit umgehe, was ich da sehe. Wer sich eine romantische Komödie ansieht, weiß im Regelfall, dass das Fiktion und ein Märchen ist. Und das Gleiche ist bei Pornos, die in erster Linie ein Unterhaltungsprodukt sind. Deshalb halte ich es für wichtig, darüber zu sprechen, welche Tricks benutzt werden. Bei Actionfilmen gibt es ja auch immer Behind-the-Scenes-Clips – das bräuchten wir auch bei Pornos. Wenn ich mir im Zirkus eine Akrobatik-Nummer ansehe, gehe ich ja auch nicht nach Hause und denke mir: „Ich springe jetzt vom 3. Stock in den Hof wie der Artist.“ Neben der Aufklärung ist aber auch Vielfalt wichtig.
Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert, dass Sie in der Pornobranche arbeiten?
Pappel: Als mir nach zwei, drei Jahren als Darstellerin klar wurde, dass das keine Phase in meinem Leben ist, sondern dass ich über das Thema auch öffentlich sprechen und selbst Filme produzieren möchte, war mir wichtig, dass ich ihnen selbst sage, was ich tue. Ich hatte dann sozusagen mein Coming-out bei Mama und Papa – und das war nicht einfach. Vor allem meine Mama hat sich Sorgen gemacht, weil sie eben auch eine völlig falsche Idee von der Branche hatte. Aber wir haben dann sehr viel darüber gesprochen und ich habe sie auch zu Premieren von Filmen von mir, die an der Grenze zwischen Filmkunst und Pornografie sind, eingeladen. Da konnte sie sehen, dass die Realität eine andere ist. Jetzt unterstützen meine Eltern mich und sitzen in der ersten Reihe bei Festivals oder Filmvorführungen. Sie sind der beste Beweis dafür, dass man Vorurteile ablegen kann. Egal, wie alt man ist – wenn man offen darüber spricht.