20er-Jahre-Partys: Dekadent durch die Krise

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Einmal jemand anders sein, aus der Rolle fallen, verkleidet das verborgene Ich entdecken - darin liegt die Faszination von Kostümfeiern. Vor allem 20er-Jahre-Partys ermöglichen eine Flucht aus dem Alltag. Gilt chic sonst oft als spießig, wird es für Nostalgie-Fans einen Abend lang zum Lebensgefühl.

Dann wirft sie eine Federboa um und zieht lasziv an ihrer Zigarettenspitze, während er einen Gatsby-Hut und Gamaschen trägt. 20er-Partys boomen in Deutschland, ob privat oder kommerziell. "Dekadent durch die Krise" könnte ihr Motto lauten.

Anastasia Romanov fiebert ihrer ersten Golden-Twenties-Party entgegen. Um stilecht auszusehen, verbringt sie drei Stunden beim Friseur - für eine Wasserwelle. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Am Abend im Grünen Salon der Berliner Volksbühne wirkt die 29-Jährige dann aber doch etwas unsicher: "Nächstes Mal gehe ich in Jeans."

Kein Einlass in moderner Kleidung

Das würden ihr die Gastgeber von Bohème Sauvage, der Gesellschaft für mondäne Unterhaltung, allerdings nicht durchgehen lassen. Der Dresscode für den Abend ist eindeutig: Wer moderne Kleidung trägt, wird nicht hereingelassen. Tabu sind auch "kitschig glitzernde und geschmacklose Karnevalskostüme, Plastikartikel, schrille Perücken, pinke Federboas". Keck und adrett soll das Outfit sein. Burlesque, Diva, Cabaret - hier ist Sinn für Stil und Ästhetik gefragt. Dunkel geschminkte Augen und ein heller Teint sorgen für das gewisse Etwas. Und die Fassade verpflichtet: Herren verbeugen sich, Damen nippen vornehm an ihren Gläsern.

Das passende Outfit suchen viele beim Kostümverleih, zum Beispiel im Sortiment von Waltraud Breuer. Die Münchnerin beobachtet seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise eine steigende Nachfrage nach Fransenkleidern, Perlenketten und Paillettenbändern mit Federn. "Jetzt lassen wir es noch mal so richtig krachen, wie bei der letzten großen Krise" - so dächten viele ihrer Kunden. Bei einer Vollausstattung könnten dann schon mal 100 bis 150 Euro für einen Abend zusammenkommen, sagt die Kostümverleiherin. Konkurrenz machen ihr Vintage-Läden, die Kleidung im Retro-Look verkaufen, Flohmärkte und eBay. Die ganz Geschickten schneidern selbst.

Der Kleidergeschmack der Gäste mag zwar auseinandergehen. 20er-Jahre-Partys locken aber eine bestimmte Klientel an, glaubt Breuer. Vor allem gesettelte Yuppies jenseits der 30 stöberten in ihrem Angebot. In letzter Zeit habe sie auch vermehrt Anfragen aus dem europäischen Ausland bekommen, die meisten aus Österreich.

Wild, exzessiv und verrucht feiern

Wer den Kostüm-Check am Eingang bestanden hat, bekommt 30 Millionen Reichsmark in die Hand gedrückt - die Inflation lässt grüßen. Spielfreudige können ihr Geld im Casino loswerden, am Roulette-Tisch, beim Pokern oder beim Black-Jack-Spielen. Hier ist nicht nur das Geld von vorgestern. Auch die Themen kreisen immer wieder um Ereignisse der Zeitgeschichte, zum Beispiel um die Wirtschaftskrise - die der 20er Jahre natürlich. Einige geben sich Fantasienamen. Florian Baldenhofer, in schwarzem Smoking und mit Fliege, heißt an diesem Abend Richard Jean-Georges.

Zwischen den swingenden Nostalgikern taucht immer wieder ein weiß geschminktes Gesicht auf. Es ist Konstantin Prochorowski alias Coco, der das Programm eröffnet und durch den Abend führt. Der 24-Jährige liebt 20er-Jahre-Partys, weil die Leute wild, exzessiv und verrucht feierten, als gäbe es kein Morgen - ein Tanz auf dem Vulkan eben. Ein trotziges Credo der Goldenen Zwanziger erlebt hier seine Wiedergeburt: "Jetzt erst recht."

INFO: www.boheme-sauvage.de

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