oe24-Interview

Mercedes-Boss Wolff: "Noch müssen wir die WM nicht abschreiben"

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Beim Europa-Auftakt in Imola (Sonntag, 15 Uhr, ORF1 live) fehlt Toto Wolff wegen der Graduation seines Sohnes in Los Angeles. oe24 erwischte den Mercedes-Boss am Telefon.

oe24: Toto, welche Zwischenbilanz ziehen Sie nach einem Viertel der WM-Saison?
TOTO WOLFF: Sagen wir: unaufgeregt-solide, weil wir in der (Konstrukteurs-)WM Zweiter sind. Unser Anspruch ist es aber immer, dass wir Rennen gewinnen und um eine Weltmeisterschaft fahren. Dafür fehlt uns einiges gegenüber Leader McLaren, das müssen wir in den Griff bekommen. Das Auto ist schnell, wenn nicht sogar das schnellste auf eine Runde gesehen. Nur im Reifenmanagement sind wir deutlich im Hintertreffen. 

oe24: Aber wenn ihr das in den Griff bekommt, könnte es sich noch ausgehen, dass Mercedes - sprich: George Russell - um die WM mitfährt, oder?
WOLFF: Wir sind erst ein Viertel gefahren, da müssen wir die WM noch nicht abschreiben. Das letzte Jahr hat gezeigt, wie schnell sich alles drehen kann. Am Anfang hat Red Bull die meisten Rennen gewonnen, nach dem dritten Europa-GP ging dann wenig. Wenn wir den Schlüssel für das richtige Reifenmanagement finden, fahren wir wieder um Siege mit, und das kann schnell gehen.

oe24: Was hoffen Sie für Imola?
WOLFF: Wir bringen viele neue Teile, um das Reifen-Überhitzen besser in den Griff zu bekommen. Das gegenüber Saudi-Arabien oder Miami kühlere Wetter hilft uns hoffentlich auch. Unser Ziel ist es, zu gewinnen. Ich glaub auch, dass das Potenzial dazu da ist.

Die Antonelli-Netflix-Doku entstand "zufällig"

oe24: Dabei denken Sie an George Russell, oder?
WOLFF: George gibt im Moment den Ton an, ist konstant vorn dabei und holt an den Renn-Sonntagen das Maximum aus dem Auto raus. Kimi hat mit seiner Poleposition (im Miami-Sprint, d. Red.) bewiesen, dass er den Speed hat. Das Reifenmanagement muss er noch lernen. 

oe24: Trotzdem hat sich das Experiment, einem erst 18-Jährigen eine Chance zu geben, ausgezahlt, oder?
WOLFF: Man sieht, dass er das Talent und die mentale Kapazität hat, ein Formel-1-Auto am Limit zu bewegen. Er beweist, dass er reif genug ist, sich im Feld der besten F1-Fahrer zu behaupten.

oe24: Und er hat sogar schon eine eigene Netflix-Doku (The Seat). Wie kam's dazu?
WOLFF: Durch Zufall. Wir haben mit unserem Partner WhatsApp den Augenblick mitgefilmt, als wir Kimi die Nachricht überbracht haben, dass er einen Fixplatz hat. Das war letzten Sommer, die Originalsituation, als Kimi von seinem Glück erfahren hat. Da wurde nichts rekonstruiert. 

oe24: Beeindruckend, wie gefasst er das aufgenommen hat ...
WOLFF: Bei aller Reife als Rennfahrer nach den vielen Jahren in diversen Nachwuchsklassen wirkt er doch noch sehr kindlich: Kimi entdeckt die Welt. 

oe24: Stimmt es, dass sein zweiter Vorname Kimi von Kimi Räikkönen (dem letzten Ferrari-Weltmeister) kommt?
WOLFF: Nein, der hat nix mit Räikkönen zu tun. Es ist auch nicht so, dass ich den Namen kultiviert hätte. Für mich gibt's aber zwei Antonellis: Wenn er gut fährt, ist er der Kimi für mich, und wenn es nicht passt, dann sag ich Andrea zu ihm. Dann weiß er gleich, was es gespielt hat. 

oe24: Wie geht Russell als Mercedes-Einserpilot nach dem Hamilton-Abschied mit der großen Aufmerksamkeit für Antonelli um?
WOLFF: Durch die Doku steht Kimi jetzt im Fokus. Aber die beiden respektieren sich, und George weiß, dass wir Kimi geholt haben, weil er richtig schnell ist. Ich hab ihm gleich gesagt: Du brauchst nicht glauben, dass du Kimi in jedem Rennen davon fährst. Auf der anderen Seite respektiert Kimi George für das, was er schon gewonnen hat. Beide arbeiten gemeinsam am Auto, die Atmosphäre bei all dem Druck locker und spielerisch. Bei Red Bull zum Beispiel ist der Druck sicher größer.

oe24: Kommt die plötzliche Dominanz von Piastri überraschend für Sie?
WOLFF: Vor der Saison hätte ich eher auf Norris gesetzt, mit dessen Erfahrung und seinem Speed. Aber ich sehe beide noch immer auf Augenhöhe und als Favoriten für die WM.

oe24: Helmut Marko sieht Piastri fast schon auf dem Niveau von Max Verstappen. Trauen Sie Antonelli zu, dass er 2026 in seinem zweiten F1-Jahr mit dem neuen Reglement im Idealfall zu den beiden aufschließt?
WOLFF:  Das lässt sich noch nicht absehen. Da geht's um ein sehr kompliziertes Chassis-Reglement und die neue Motor-Effizienz. Keiner kann vorhersagen, wer das am besten hinbekommt. Wobei beim Motor haben die McLaren, Alpine und Williams keinen Vorteil gegenüber Mercedes, weil sie ja unseren haben.

oe24: Spannend wird, wie Red Bull den eigenen Motor hinbekommt ...
WOLFF:  Das weiß keiner. Alle Spekulationen sind Kaffeesudlesen.

oe24: Halten Sie es für möglich, dass Lewis Hamilton Saisonende hinschmeißen könnte?
WOLFF:  Nein, das glaub ich nicht. Die Leute schreiben Lewis viel zu schnell ab. Wenn er ein Auto hat, in dem er sich wohlfühlt, dann ist er der absolute Kracher. Was er kann, hat er mit dem Sieg im Sprint in Shanghai aufblitzen lassen. Da ist er auf und davon gefahren. Wer Lewis abschreibt, macht einen Riesenfehler. 

oe24: Letzte Frage: Muss sich Russell Sorgen machen, dass sein Vertrag nicht verlängert wird, weil Verstappen für 2026 bei Mercedes unterschreiben könnte?WOLFF: Das wird nur nach außen hin aufgebauscht. Wir haben einen Zeitplan, da sind wir absolut im Plan mit dem George. Wenn ich jetzt ein Datum sag (für eine mögliche Verlängerung, d. Red.), dann erzeuge ich nur unnötigen Druck. Wir haben gesagt, dass wir uns im Frühsommer zusammensetzen.

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