Wäre Connor McDavid nicht gewesen, James Crawford wäre heute womöglich professioneller Eishockey-Spieler und nicht Ski-Weltmeister im Super-G.
Der 25-jährige Kanadier überraschte am Donnerstag in Courchevel, setzte sich um den Hauch von einer Hundertstel vor Aleksandar Aamodt Kilde durch und ließ weitere Favoriten wie Marco Odermatt oder Vincent Kriechmayr hinter sich. "Die jetzt zu schlagen, das fühlt sich unwirklich an", sagte Crawford nach seinem bisher dem größten Erfolg.
Sein erster Sieg in der Weltelite war eine Überraschung, aber keine Sensation. Oder wie der sechstplatzierte Marco Schwarz sagte: "Der Crawford ist kein Nasenbohrer. Er gehört zu den besten Speedfahrern auf der Welt, hat einen sehr guten Saisonstart gehabt. Solche Leute muss man immer auf der Rechnung haben."
Crawford, der im Weltcup vor einem Jahr in Kvitfjell zum bisher einzigen Mal auf das Super-G-Podest gefahren ist und in diesem Winter einen sechsten Platz als bestes Resultat vorweist, trat in Fußstapfen von Erik Guay, der 2017 als zuvor einziger Kanadier Super-G-Weltmeister geworden war.
Nordamerikaner bei Großereignissen zur Stelle
Wieder einmal war ein Nordamerikaner bei einem Großereignis zur Stelle. "Bei Weltmeisterschaften sind wir einfach in der Lage zu performen", sagte der mittlerweile von John Kucera (Abfahrts-Weltmeister 2009) trainierte Crawford, ohne einen Grund dafür zu wissen. Er habe seine Fahrt wohl "eher auf der riskanten Seite" angelegt. "Ich bin sehr froh, dass ich es bis unten durchziehen konnte", sagte der Olympia-Dritte in der Alpinen Kombination von 2022.
Die für ihre Risikofreude berühmten "Crazy Canucks" der 1970er-Jahre um Ken Read, Steve Podborski und Dave Irwin sind Crawford freilich ein Begriff. Gern würde er im gelben Crazy-Canuck-Outfit fahren, meinte der 25-Jährige. Seine Zeit war und ist aber eine andere, als Jugendlicher habe er hauptsächlich Bode Miller und Didier Cuche in Videos bewundert.
Eishockey Superstar schuld wegen Ski-Karriere
Ein Superstar trägt Mitschuld, dass Crawford mit Skiern statt Kufen hantiert. Als 15-Jähriger spielte Crawford mit dem nunmehrigen NHL-Superstar Connor McDavid von den Edmonton Oilers in einem Schüler-Eishockeyteam in Toronto. "Er hat dafür gesorgt, dass ich den richtigen Weg eingeschlagen habe", sagte Crawford und lachte. "Ich wäre vermutlich kein schlechter Eishockeyspieler geworden, aber ihn spielen zu sehen ist wie Odermatt beim Skifahren zu sehen. Aus irgendeinem Grund ist er einfach besser als alle anderen."
Auf der Finsternis ("Eclipse") genannten Strecke in Courchevel war er der Schnellste. Er bewältigte die Sprünge und vielen Wellen besser als alle anderen. Auch als Odermatt, der im kürzesten Super-G des Jahres hinter Kilde und Alexis Pinturault als Vierter leer ausging. "Ich wusste, dass Odermatt, Kilde und all diese Typen extrem schnell sein würden. Es ist sich mit Ach und Krach ausgegangen." Der französische Untergrund wirkt ihm vertraut. "Der Schnee ist hier so ähnlich wie in Lake Louise, Panorama, Kanada - das macht es leicht für mich."
"Jacks" Tante Judy in der Weltspitze
Das skitechnische Rüstzeug bekam Crawford quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater sei ein herausragender Skifahrer, habe es aber anders als seine Tante Judy nicht in die Weltspitze geschafft, erzählte der Goldmedaillengewinner. Judy Crawford wurde in Sapporo 1972 Olympia-Vierte. "Sie sagte mir: Niemand erinnert sich an Viertplatzierte. Wenn du glaubst, du kannst ein bisschen schneller fahren, dann solltest du es machen", sagte der neue Super-G-Weltmeister.
Seinen Rufnamen hat Crawford übrigens von seiner Schwester. "Sie wollte einfach, dass ich Jack heiße, als ich geboren wurde. Sie war da etwa drei Jahre alt. Meine Eltern haben nicht dagegen angekämpft", erklärte Crawford. "Jeder, der mich kennt, nennt mich Jack."