Nach Todesurteil

Saddam wegen Kurden-Massaker vor Gericht

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Bei der "Operation Anfal" wurden 1987/88 180.000 Kurden getötet. Der Vorwurf gegen Iraks Ex-Diktator lautet Völkermord.

Zwei Tage nach dem Todesurteil gegen den früheren irakischen Machthaber Saddam Hussein hat sich dieser am Dienstag wieder wegen des Kriegs gegen die Kurden vor Gericht verantworten müssen. Die Anklage lautet dabei auf Völkermord. Bei der "Operation Anfal" wurden 1987/88 rund 180.000 Kurden getötet, die meisten waren Zivilisten. Am Sonntag wurden Saddam Hussein und zwei Mitangeklagte wegen eines Massakers an Schiiten 1982 zum Tod durch Erhängen verurteilt.

Berufung gegen Todesurteil
Der Prozess um die "Operation Anfal" wird so lange weitergeführt, bis das Urteil im ersten Verfahren rechtskräftig ist. Saddam Husseins Anwälte haben Berufung gegen das Todesurteil angekündigt, das auch automatisch von einem Gericht überprüft wird. Dessen Spruch wird Mitte Jänner erwartet.

Vollstreckt werden kann das Urteil aber erst, wenn es auch von Staatspräsident Jalal Talabani und seinen Stellvertretern unterzeichnet wurde. Dies gilt als sicher, da auch der sunnitische Vizepräsident Tarik al Hashmi sein Wort gegeben hat, einem Todesurteil zuzustimmen. Dies war Teil der Abmachungen, nach denen er zum Vizepräsidenten gewählt wurde. Talabani ist jedoch ein grundsätzlicher Gegner der Todesstrafe und hat bisher schon die Unterzeichnung von Todesurteilen an einen seiner beiden Stellvertreter - ein Schiite und ein Sunnite - delegiert. Seiner Meinung nach ist seine Unterschrift gar nicht nötig.

Die iranische Regierung sprach sich am Montag nachdrücklich für die Vollstreckung des "fairen, korrekten und rechtlichen Urteils" gegen Saddam Hussein aus. "Er ist ein krimineller Diktator", sagte Regierungssprecher Gholam Hossein Elham. Er hoffe aber auch, dass Saddam Hussein weiter für seine anderen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werde, so den Krieg gegen den Iran von 1980 bis 1988. Mehr als eine Million Menschen starben dabei auf beiden Seiten. Der iranische Rundfunk hatte am Sonntag sein Programm wegen des Todesurteils unterbrochen.

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Zugeständnis an Sunniten
Offenbar als Zugeständnis an die Sunniten will die irakische Regierung ehemalige Funktionäre der inzwischen verbotenen Baath-Partei von Saddam Hussein die Rückkehr in ihre alten Berufe erleichtern. Die so genannte Nationale Kommission zur Entbaathifizierung hat nach Angaben ihres Direktors Ali al Lami vom Montag einen entsprechenden Gesetzentwurf ausgearbeitet, der demnächst dem Parlament vorgelegt werden soll.

Der Schritt, von dem mehrere tausend Funktionäre der ehemaligen Regierungspartei betroffen sein könnten, gilt als wichtiges Zugeständnis der neuen, von Schiiten dominierten Regierung an die meist sunnitischen früheren Gefolgsleute Saddams. Die USA hatten die Baath-Partei im Mai 2003, einen Monat nach dem Sturz Saddam Husseins, aufgelöst. Später hatten die US-Truppen aber ihre Haltung gelockert und ehemalige ranghohe Offiziere der aufgelösten Streitkräfte in die neu gebildeten Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch mehreren tausend Lehrern, die der Baath-Partei angehört hatten, wurde die Rückkehr an ihre Arbeitsplätze gestattet.

US-Regierung zufrieden
Indes geht der Streit zwischen den USA und Europa über das Todesurteil weiter. US-Präsident George W. Bush und US-Außenministerin Condoleezza Rice begrüßten den Richterspruch als "Meilenstein der Demokratie". Rice hat die Europäer zur Zurückhaltung aufgefordert. "Diese Entscheidung ist Sache der Iraker", sagte Rice. Amerikaner und die Europäer sollten sich mit Kommentaren zurückhalten. Vorwürfe, der Zeitpunkt der Urteilsverkündung sei so gewählt worden, um Bushs Republikanern bei der Kongresswahl am Dienstag zu helfen, wies Rice vehement zurück. Solche Vorwürfe seien eine Beleidigung der Iraker, die mit dem Urteil eine mutige Entscheidung gefällt hätten.

Europa gegen Todesurteil
Praktisch alle europäischen Politiker und Institutionen wie der Europarat verurteilen hingegen die Verhängung der Todesstrafe. Vor allem Italien und Frankreich sind gegen das Todesurteil. Italiens Außenminister Massimo D'Alema hat den Irak dringend davor gewarnt, das Urteil zu vollstrecken. Eine Hinrichtung von Saddam Hussein wäre " unannehmbar", es handle sich um eine Grundsatzfrage; zudem drohe bei einer Vollstreckung der Todesstrafe im Irak "ein echter Bürgerkrieg ".

Auch der Europarat hat vor einer Vollstreckung gewarnt. Der irakische Expräsident "ist ein Krimineller, der nicht zu einem Märtyrer gemacht werden darf", erklärte der Generalsekretär des Europarates, Terry Davis. Seine Hinrichtung wäre sinnlos und falsch. "Das irakische Volk braucht Gerechtigkeit, keine Vergeltung", erklärte Davis. Ein von Gewalt und Tod erschüttertes Land brauche nicht noch mehr Gewalt, und vor allem keine staatlich organisierte Exekution.

Auf die Frage, was er von der Entscheidung des Gerichts halte, sagte auch der britische Premier Blair, Großbritannien lehne die Todesstrafe ab, " ob es Saddam ist oder jemand anders". Zugleich erklärte er jedoch, dass der Prozess der Welt die Brutalität des früheren Machthabers in Erinnerung gerufen habe. Das Verfahren "gibt uns die Chance, noch einmal zu sehen, wie die Vergangenheit im Irak war, die Brutalität, die Tyrannei, die hunderttausenden von Menschen, die Saddam Hussein getötet hat, die Kriege. "

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