Publizistin und Kulturmanagerin Danielle Spera hat sich der Aufgabe verschrieben, sich für die Zukunft zu erinnern – wie etwa in Form eines neuen Buches.
Auf eine packende Zeitreise nimmt uns Danielle Spera (68), Top-Journalistin und ehemalige Direktorin des Jüdischen Museums Wien, in dem Buch „Bewegte Zeiten – Erinnern für die Zukunft 1945-2025“ mit. Schließlich gab es 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch kein Werk, das die essenziellen Phasen der österreichischen Nachkriegsgeschichte miteinander verbindet – schon gar nicht mit Fokus auf Niederösterreich.
Zeitzeug:innen wie Brigitte Ederer, Renate Welsh oder Rita Nitsch erinnern sich an die Wendepunkte in der Zweiten Republik. Historisches Bildmaterial soll daran erinnern, was unsere Zukunft prägt. Über das Erinnern, die bewegten Zeiten, in denen wir heute leben, und das „Niemals Vergessen!“ spricht die Autorin in MADONNA.
Kulturmanagerin und Publizistin Danielle Spera.
"Das Leben ist wesentlich leichter, wenn man optimistisch ist"
„Bewegte Zeiten“ heißt Ihr neues Buch. Bevor wir über Ihr Werk anlässlich 80 Jahre Zweite Republik sprechen – wie haben Sie kürzlich die Ereignisse in Israel erlebt?
Danielle Spera: Ja, unglaublich. Wir haben natürlich alle mit den Geiselfamilien mitgefiebert. Wir hatten gerade in der Woche vor der Geiselbefreiung Angehörige von Betroffenen zu Gast in Wien, die Erschütterndes berichtet haben. Daher war dieser Montag mit der Befreiung der Geiseln ein Tag mit vielen Freudentränen. Jetzt muss man schauen, dass die Diplomatie tatsächlich ans Werk geht.
Sind Sie hoffnungsvoll?
Spera: Ich bin immer eher optimistisch, weil das Leben wesentlich leichter ist, wenn man optimistisch ist. Es hat sich jedenfalls etwas bewegt, und ich glaube, es könnte sich wirklich Entscheidendes tun. Ich habe jedenfalls die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Sie stehen ständig in Kontakt mit Menschen in Israel. Welches Stimmungsbild zeichnet sich in Ihren Gesprächen?
Spera: Einerseits ist die Freude überbordend, dass die Geiseln freigekommen sind. Gleichzeitig ist der Schmerz groß, dass die Hamas wieder ein übles Spiel mit den toten Geiseln spielt, die sie nicht übergibt, und dass man für 20 Geiseln 2.000 palästinensische, zum Teil fürchterliche Mörder freilassen musste. Das trifft die israelische Bevölkerung ins Mark.
Wie groß ist heute die Angst vor Ort?
Spera: Das Leben in Israel ist eigentlich immer von Bedrohung geprägt. Aber Angst darf man dort einfach nicht haben, man lebt ständig unter Bedrohung – jede Generation.
Das Buch "Bewegte Zeiten", herausgegeben von Danielle Spera, ist soeben erschienen. (40 Euro)
"Wenn man die Geschichte nicht kennt, kann man die Gegenwart nicht gut aufbauen."
Der 7. Oktober 2023 und seine Folgen sollen nie vergessen werden. Dem „Erinnern für die Zukunft“ haben Sie auch Ihr neues Buch gewidmet. Warum ist das so wichtig?
Spera: Wenn man die Geschichte nicht kennt, kann man die Gegenwart nicht gut aufbauen. Die Geschichte ist unsere Wurzel. Es ist wichtig, dass wir uns dessen bewusst sind und erkennen, dass nichts selbstverständlich ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Land zerstört – nicht nur physisch, sondern auch in den Köpfen der Menschen, die einer Ideologie anheimgefallen waren.
Die Transformation in eine Demokratie war nicht selbstverständlich, dafür mussten viele Opfer gebracht werden. Was sich seither getan hat, wie sich Österreich – besonders Niederösterreich – entwickelt hat, vom Land am Eisernen Vorhang, wo die Welt zu Ende war, ist bemerkenswert. Das darf nicht in Vergessenheit geraten.
Denken Sie, dass die Erinnerungskultur in unseren Zeiten etwas abhandenkommt?
Spera: Das glaube ich nicht. Österreich hat zwar spät mit einer Erinnerungskultur begonnen, aber es wird heute sehr viel getan, und wir haben da auch weiterhin viel zu tun – besonders heute.
Gäbe es aus Ihrer Sicht diesbezüglich an den Schulen noch mehr zu tun?
Spera: Die Schulen stehen vor ganz neuen Herausforderungen. Jeder redet über den Nahostkonflikt, und die Schüler:innen wissen oft überhaupt nichts über die Geschichte. Sie werden in den sozialen Medien mit Bildern überflutet. Daher wäre es wichtig, den jungen Menschen mehr Medienbildung mitzugeben – nicht alles zu glauben, was man sieht, und Dinge mit Vorsicht zu betrachten, besonders angesichts der Künstlichen Intelligenz. Auch im Journalismus geht das Infragestellen und die Neugier verloren. Ich sage immer: Fahrt hin, schaut euch das Land an! Jeder bildet sich eine Meinung über Israel, aber kaum jemand war dort.
Die damalige Direktorin des Jüdischen Museums mit der Madame Tussauds-Wachsfigur von Anne Frank.
"Die Kinder haben sogar mitgeforscht, um noch Angehörige zu finden"
Die Zeitzeugen des Holocaust werden immer weniger. Wer wird künftig die Erinnerungen an das, was wir nie vergessen dürfen, weitertragen?
Spera: Bücher wie dieses tragen auf jeden Fall dazu bei. Oder wenn man an das „Tagebuch der Anne Frank“ denkt, das bis heute von jungen Menschen verschlungen wird – es wurde auch als Podcast von Künstler:innen eingelesen –, das sind neue Wege, Geschichte zu vermitteln. Ich glaube auch an die Kraft von Objekten. Im Jüdischen Museum gibt es beeindruckende Exponate, die berührende Geschichten erzählen. Das sind wichtige Mittel, wenn es leider bald keine Zeitzeugen mehr gibt.
Sie sind dreifache Mutter. Wie haben Sie Ihren Kindern das begreiflich machen können, was so unbegreiflich ist – den Holocaust?
Spera: Da wir in der Familie selbst viele Opfer haben, sind die Kinder mit diesem Bewusstsein aufgewachsen. Sie wissen, was passiert ist, und sehen, dass unsere Familie trotz der Verluste – ganze Familien mit Kindern wurden ausgelöscht – wieder gewachsen ist. Überlebende haben neue Familien gegründet, die heute in der ganzen Welt leben. Es ist schön zu sehen, dass daraus wieder Leben entstanden ist. Die Kinder haben sogar mitgeforscht, um noch Angehörige zu finden – das ist etwas sehr Schönes.
Mit Ehemann Martin Engelbert.
"Ich freue mich über jedes Kind, das geboren wird."
Umso größer ist sicher die Angst vor dem aktuell wieder steigenden Antisemitismus.
Spera: Wir haben eine ziemliche Resilienz entwickelt. Meine Kinder haben alle drei nach der Matura ein Jahr in Israel gelebt, Sozialarbeit geleistet und Kriege erlebt. Sie sind auf das Leben vorbereitet. Aber natürlich ist es erschütternd, was sich auf den Straßen tut – dass der jüdische Friedhof geschändet wurde, es Schmierereien gibt, Menschen angepöbelt werden. Ich hätte nicht gedacht, dass wir wieder so weit kommen. Meine Eltern wären schockiert über das, was jetzt wieder passiert.
Wenn Sie in zehn Jahren wieder über „Bewegte Zeiten“ schreiben würden – was würden wir dann wohl zu lesen bekommen?
Spera: Ich versuche immer, einen positiven Blick aufs Leben zu haben. Wir stehen bei den neuen Medien und bei der KI vor großen Herausforderungen, aber ich sehe darin auch Chancen. Wenn wir zehn Jahre zurückdenken – was wir heute mit Smartphones machen können, wie leicht junge Menschen recherchieren und sich bilden können –, das hätten wir nicht für möglich gehalten. Ich bin dankbar, dass ich das erleben darf, und neugierig, was noch kommt.
Es gibt Menschen, die sagen, in diese Welt sollte man gar keine Kinder mehr setzen. Freuen Sie sich trotzdem auf Enkelkinder?Spera: Ich freue mich über jedes Kind, das geboren wird. Menschen haben Kinder in den fürchterlichsten Zeiten bekommen. Wenn man immer so gedacht hätte, gäbe es uns heute nicht. Wir leben in goldenen Zeiten im Vergleich zu dem, was unsere Eltern oder Großeltern erlebt haben. Da dürfen wir uns wirklich nicht beschweren.