Bindung unfair

Skifliegen: Psycho-Duell mit der Schweiz

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Die Bindung von Simon Ammann bringt den Schweizern bis zu 10 Meter. Vor dem Springen auf der Großschanze eskaliert der Streit.

Psycho-Krieg mit der Schweiz vor dem Springen von der Großschanze. Unsere Adler wittern „Betrug“, die FIS allerdings sieht keine Regelverstöße. Der ÖSV entschloss sich deshalb auf einen Protest gegen die Bindung des Olympiasiegers von der Normalschanze, Simon Ammann, einzulegen.

Es begann mit einem Foto von „Käseflieger“ Ammann beim ersten Training auf der Großschanze am Dienstag. Wie ÖSTERREICH berichtete, fotografierte ÖSV-Pressechef Florian Kotlaba die neue Bindung des Olympiasiegers, da es Gerüchte gab, diese verhelfe Ammann zu einem unsportlichen Vorsprung.

Irre: Nun findet sich Kotlaba unter dem wenig schmeichelhaften Titel „Chef-Spion“ in der Schweizer Gazette Blick wieder. Diese legt noch einmal nach: „Der ÖSV gönnt Ammann die Goldmedaille nicht!“ Das brachte das Fass endgültig zum überlaufen.

Bei der Mannschaftsführersitzung am Freitag präsentierte Cheftrainer Alex Pointner ein achtseitiges Dossier über Ammanns unfaire Bindung. Er erklärt: „Wir wollen damit den Beweis liefern, dass dieser Vorteil unsportlich und gefährlich ist. Bei Aufwind kann es zu bösen Unfällen kommen!“

Jetzt könnte Ammann sogar noch Gold verlieren
Deshalb werde man seitens des ÖSV, sollte Ammann heute wieder auf dieses Material zurückgreifen, Protest einlegen. Dann könnte der Schweizer auch nachträglich seine Goldmedaille verlieren! Auch Nordisch-Boss Toni Innauer unterstützt unsere Adler im Kampf gegen die Bindung (siehe unten).

Doch ausgerechnet ein Österreicher macht den Schweizern Hoffnung. Für FIS-Kontrollor Sepp Gratzer ist die Bindung kein Problem: „Ich sehe hier überhaupt keinen Regelverstoß.“ Und auch der FIS-Vorsitzende für Skispringen, der Finne Jouko Törmänen, hat die Bindung des Schweizers gestern für legal erklärt.

Der ÖSV sieht das weiter anders: Ammann wird Verletzung des Artikels 222.1-222.5 der Wettkampf-Ordnung vorgeworfen. Der Schweizer Disziplinenchef Gary Furrer wies alle Vorwürfe zurück. „Wir haben alles eingehalten.“

Und Ammann selbst ist uneinsichtig. Er sagt frech: „Mit dieser Bindung kann ich gar nicht schlecht springen. Auch wenn ich den Absprung mal nicht genau erwische, fliege ich am weitesten!“

Aufreger Dossier: "5 bis 10 Meter weiter"
ÖSV-"Anklage" auf 8 Seiten

In einem achtseitigen Dossier droht der ÖSV dem Schweizer Simon Ammann mit Protest. ÖSTERREICH liegt das Dokument vor.

Gleich am Beginn des Papiers macht der ÖSV klar, worum es ihm geht: „Simon Ammann benutzte bei seinem letzten vorolympischen Wettkampf in Klingenthal [...] ein modifiziertes Bindungssystem. Er gewann den Wettkampf überlegen.“

Auf den weiteren Seiten des Dossiers versucht der rot-weiß-rote Verband zu beweisen, warum Ammanns neue Bindung die Konkurrenz alt aussehen lässt. „Vor der Ankunft in Vancouver sprach Ammann mit Medienvertretern und äußerte, er habe Neuerungen im Materialsektor, die es ihm ermöglichen, sogar mit technisch mangelhaften Sprüngen Wettkämpfe zu gewinnen“, heißt es in dem Dokument.

Der erste olympische Wettkampf zeigte, dass Ammann damit tatsächlich bärenstark ist: Er holte Gold, unser Überflieger Gregor Schlierenzauer musste sich mit Bronze zufrieden geben.

Mit Fotos wird bewiesen: Neue Bindung gibt Ammann Stabilität
Kein Zufall, findet der ÖSV. Die leichte Biegung im Röhrchen an der Bindung mache einen riesigen Unterschied im Flugverhalten aus. „Das Bindungssystem ermöglicht, die Ski in der V-Flugposition planer zu führen. Eine plane Skiführung oder ‚weniger Aufkanten‘ verbessert deutlich die Flugeigenschaften.“

Im Klartext heißt das: Die Änderung der Bindung bewirkt, dass die Ski während des Fluges nicht so stark auf die Seite kippen. Die Folge: Die Fläche, die den Sportler in der Luft trägt, vergrößert sich. Untermauert wird dieser Effekt im Dossier durch den Vergleich zweier Ammann-Fotos. Das eine zeigt ihn ohne neue Bindung – die Ski sind deutlich stärker gekippt. Am zweiten Foto mit „Wunderbindung“ liegt der Schweizer viel gerader in der Luft – und hat dadurch mehr Auftrieb.

„ÖSV hat 2008 entschieden, die Bindung nicht einzusetzen“
Der ÖSV selbst hat dieses System nach eigenen Angaben bereits im Jahr 2008 getestet. „Bei den Tests stellte man fest, dass die gebogene Koppelstange den Aufkantwinkel des Skis so stark verringert, dass auf einer Großschanze Weitengewinne von 5–10 Metern erzielt werden konnten.“ Der gravierende Nachteil: Der Sprung sei dadurch „kaum noch steuerbar“. Folge: „Toni Innauer entschied im Jahre 2008, dass die neue Bindung nicht eingesetzt wird, da sie mit der IWO nicht in Einklang zu bringen ist.“

Darum ist die Bindung unfair

Skisprung-Legende Hubert Neuper erklärt, warum die Bindung illegal ist.

„Gefährlich!“ „Es gibt zwei Arten, wie die Bindung beim Skisprung mit dem Schuh an der Ferse verbunden ist: Entweder mit einem Band, oder durch ein Stahlröhrchen. Bei der umstrittenen Bindung von Ammann wurde ein Stahlröhrchen verwendet, das zusätzlich leicht gebogen wurde. Das bewirkt, dass die Ski im Flug nicht so stark nach innen kippen können. Die Folge: Wenn der Ski gerade in der Luft steht, ist die Fläche, auf der sich ein Luftpolster bilden kann, größer. Dadurch sind weitere Sprünge möglich. Das System hat aber einen Haken: Zusätzlich steigt die Gefahr, dass es plötzlich zu Problemen kommt. Und das ist gefährlich.

Jede Weiterentwicklung am Material sollte aber auch der Sicherheit der Springer dienen. Die Regelung ist so: Wenn es neue Systeme gibt, müssen die der FIS gemeldet werden. Nach einer Überprüfung wird die neue Technologie schließlich für alle Verbände freigegeben. Und genau diese Meldung haben die Schweizer nicht gemacht. Eines ist klar: Die Leistung von Ammann soll keineswegs geschmälert werden. Aber es gibt eben Regeln, an die sich alle halten müssen.“

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