In Europa sind in den vergangenen Wochen die Impfungen gegen die "Neue Grippe" (auch: "Schweinegrippe") angelaufen. In Österreich ließen sich bis Freitag (13. November) rund 100.000 Menschen immunisieren. "Es gab in Europa bisher 45 Nebenwirkungsmeldungen für den in Österreich verwendeten Impfstoff 'Celvapan'. 22 davon kamen aus Österreich. Das ist deshalb so, weil wir diese Vakzine eben ausschließlich verwenden und schon viele Personen geimpft wurden", sagte am Wochenende Marcus Müllner, Chef der österreichischen Arzneimittelagentur AGESPharmMed, im Gespräch mit der APA.
"Wir wissen seit Jahrzehnten, wie Grippeimpfungen funktionieren. Jetzt bestätigt sich für 'Celvapan' punktgenau, was wir erwartet haben", erklärte der Experte. Mittlerweile würden auch Nebenwirkungsmeldungen eintreffen. "Das sind Ereignisse, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung auftreten. Ein ursächlicher Zusammenhang ist damit noch nicht belegt. Der in Österreich verwendete A(H1N1)-Impfstoff Celvapan wurde sonst bisher noch in Irland in größeren Mengen verwendet, eher spärlich in Großbritannien", sagte Müllner.
Parallel zu den Immunisierungen läuft in allen EU-Staaten die Pharmakovigilanz, bei der Ärzte und Gesundheitseinrichtungen aufgerufen sind, alle potenziell mit der "Neue Grippe"-Impfung im Zusammenhang stehenden Nebenwirkungen zu melden. Durch die Aktualität der Frage dürfte derzeit auch die Aufmerksamkeit insgesamt höher sein. Der Experte: "Sonst bekommen wir im ganzen Jahr in Österreich 50 Meldungen von schwerwiegenden und möglicherweise mit irgendeiner Impfung im Zusammenhang stehenden Nebenwirkungen."
Die aktuellen Daten, die damit erstmals bekannt werden, laut Müllner: "In Europa gab es bisher 45 Nebenwirkungsmeldungen für den in Österreich verwendeten Impfstoff. 18 kamen aus Irland, fünf aus Großbritannien und 22 aus Österreich.
Sechs waren schwerwiegende Probleme, drei davon waren Meldungen über schwerwiegende mögliche Nebenwirkungen, drei sogenannte Anaphylaxien (unmittelbar nach der Impfung auftretender Blutdruckabfall, Kollaps - die Schwere kann bis zu einem Schockzustand reichen, Anm.). Aus Österreich kam bisher eine Meldung über eine mögliche schwere Nebenwirkung. Ein Patient wurde wegen Atemnot im Spital aufgenommen; die genauen Umstände sind noch unklar. Sonst gab es Meldungen über Muskelschmerzen, Fieberreaktionen, Kopfweh und Bauchschmerzen."
Wichtig ist, dass es sich hier bloß um mögliche Nebenwirkungen handelt. Ein ursächlicher Zusammenhang ist einstweilen nicht belegt. Müllner: "Einen dramatischen Fall hatten wir in Österreich bisher nicht. Die Meldungen sind durchaus typisch für eine Influenza-Impfung."
A(H1N1) weniger gefährlich als befürchtet
Ingesamt dürfte die "Neue Grippe" - so eine neue Risikoabschätzung von Marcus Müllner - "gleich oder sogar etwas weniger gefährlich als die saisonale Grippe" sein. Der AGESPharmMed-Chef: "Auf der Basis der Zahlen aus Australien und Neuseeland kann man für Österreich auf eine Population von neun Millionen Menschen abschätzen, dass - so niemand geimpft ist - rund 1.600 Patienten wegen der "Neuen Grippe" ins Spital aufgenommen werden müssen. Es könnte zu rund 290 Aufnahmen in Intensivstationen kommen. 40 bis 60 Todesfälle könnten auftreten."
Das wäre wesentlich weniger als das Europäische Zentrum für Krankheitskontrolle (ECDC) am Beginn der Pandemie als Worst Case-Szenario errechnete. Müllner: "Da wären wir auf Österreich umgelegt auf 27.000 Krankenhausaufnahmen gekommen, auf 6.700 Intensivpatienten und auf 2.700 Todesfälle. Aber man muss trotzdem sagen: Es werden viele Österreicher erkranken, einige schwer. Die Kapazität von Krankenhäusern und besonders von Intensivstationen könnte zeitweise überlastungsgefährdet sein."
Die Nutz/Risiko-Abwägung spricht laut dem AGESPharmMed-Chef für die Impfung gegen die "Neue Grippe": Statt 1.500 Krankenhausaufnahmen ohne Impfung wären bei der Immunisierung aller Österreicher nur etwa 100 zu erwarten. Statt rund 300 Aufnahmen in Intensivstationen ohne Immunisierung wäre bei einer generellen Durchimpfung mit zehn Aufnahmen in Intensivstationen zu rechnen - eben vor allem als Folge von anaphylaktischen Reaktionen. 40 Todesopfer durch die Influenza (ohne Impfung) stünde wahrscheinlich statistisch weniger als ein Todesopfer als Folge der Impfungen gegenüber.
Müllner: "Die Impfung kann Influenza verhindern. Ein allfälliges Risiko ist ein Vielfaches geringer als der mögliche Nutzen der Impfung."
Stöger rechnet mit leichtem Verlauf
Auch Gesundheitsminister Alois Stöger (S) hat am Sonntag (15. November) in Sachen "Neue Grippe" bei aller Sorgfalt für Gelassenheit plädiert. "Ich gehe derzeit davon aus, dass die neue Grippe einen ähnlichen, wenn nicht leichteren Verlauf hat als eine normale saisonale Grippe", sagte er in der ORF-"Pressestunde". Die Zahl der gravierenden Fälle liege derzeit unter zehn. Österreich verfüge über den weltweit besten und auch am besten geprüften Impfstoff.
Der Gesundheitsminister geht davon aus, dass es bisher insgesamt 10.000 bis 20.000 Infektionen in Österreich gibt. Geimpft wurden bisher rund 100.000 Menschen, eine ähnliche Zahl erwartet er für kommende Woche. Impfstoff sei in ausreichender Menge vorhanden. Man sei in der Lage, jede Woche mehrere 100.000 Dosen zur Verfügung zu stellen. "Wir haben für die gesamte Bevölkerung genügend Impfstoff", betonte er, das habe kein anderes Land. Er lege seine Hand dafür ins Feuer, dass dieser bestmöglich geprüft sei.
Bei den Vorbereitungen der Maßnahmen gegen die Pandemie sei Österreich Weltspitze, sagte der Gesundheitsminister, und verteidigte, dass es keine Impfpflicht für das medizinische Personal gibt. "Ich vertraue für die Menschen im Gesundheitssystem, dass sie das Richtige tun", erklärte er. Dass Impfungen nicht generell durch praktische Ärzte oder Kinderärzte verabreicht werden, sondern durch amtliche Stellen, was in der ersten Woche teilweise zu stundenlangen Wartezeiten führte, begründete Stöger mit einer Vorsichtsmaßnahme: Da bei der Planung nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Grippewelle einen schweren Verlauf nimmt, wurde Vorsorge dafür getroffen, dass Ärzte ausreichende Kapazitäten zur Behandlung von Patienten hätten und nicht gleichzeitig impfen müssten.
Zu Kritik an der Tatsache, dass er selbst auf die Immunisierung gegen die neue Grippe verzichtete, erklärte Stöger, dass er keiner Risikogruppe - unter anderem chronisch Kranke - angehöre. "Jeder, der will, kann sich impfen lassen", betonte der Gesundheitsminister.
Ein Prozent der Kranken muss ins Spital
Der Krankheitsverlauf bei der sogenannten neuen Grippe ähnelt jenem der saisonalen Grippe. Bei zehn Prozent der Erkrankten können nach bisherigen Erfahrungen Komplikationen auftreten, ein Prozent müsse im Spital behandelt werden. Das sagte der Generaldirektor für die öffentliche Gesundheit, Hubert Hrabcik, am Samstag im Mittagsjournal des ORF-Radios.
Bei einem Viertel der Patienten, die wegen der neuen Grippe ins Spital müssen, komme es zu schweren Lungenentzündungen, sagte Hrabcik. Seinen Angaben zufolge sind in Österreich im vergangenen Winter rund 400.000 Menschen an der saisonalen Influenza erkrankt. Bei einer ungünstigen Entwicklung "könnte sich diese Zahl verdoppeln oder verdreifachen".
Impfstoff gebe es genug, versicherte der Gesundheits-Generaldirektor: Pro Woche würden 200.000 Dosen nachgeliefert. Für den vollständigen Schutz sind zwei Teilimpfungen notwendig.
Risikopatient in Graz gestorben
Die "Neue Grippe" hat mittlerweile ein drittes Todesopfer in Österreich gefordert: Am LKH Graz ist ein Risikopatient laut "Kleiner Zeitung" gestorben. Der 26-jährige Student hatte eine angeborene Nierenkrankheit und war schon mehrfach nierentransplantiert. Der Student ist vor fünf Tagen mit Fieber ins Spital gekommen, berichtete auch der ORF.
Am 2. November war ein elfjähriges Mädchen aus Südtirol im LKH Innsbruck einer H1N1-Infektion erlegen. Am 10. November starb ein 38-jähriger Mann in Schwarzach in Salzburg an der Folgen der Krankheit.