Koller: Argentinien mehr abhängig von Messi als Brasilien von Neymar.
Ex-Teamchef Marcel Koller wird die kommenden Wochen nicht in Russland, sondern schwerpunktmäßig im ORF-Fußballstudio im 13. Wien-Hietzing verbringen. "Das zeigt halt auch, dass nicht alles planbar ist", sagte der Schweizer. Sein WM-Tipp kommt für einmal nicht aus dem Quartett Brasilien, Deutschland, Frankreich oder Argentinien. "Was ich bisher gesehen habe, hat mich Spanien am meisten überzeugt", lautet seine Einschätzung. "La Roja" bestreitet ihr erstes Match am Freitag gegen Portugal.
Der verpassten WM-Chance mit Österreich will Koller nicht nachtrauern. Vielmehr bereitete sich der 57-Jährige gewissenhaft auf seine Tätigkeit als ORF-Experte vor. Beim Studium der Länderspiele der vergangenen Wochen und Monate "hat mich bis jetzt Spanien am meisten überzeugt", sagte Koller bei einem Wien-Besuch im Vorfeld der WM. Dem Weltmeister von 2010 attestiert Koller "wahnsinnige Technik, wahnsinnig gute läuferische Qualität, immer wieder anspielbar zu sein und vorne die Qualität, Tore zu erzielen". Auch das Gegenpressing der Spanier nach Ballverlust imponiere ihm.
Doch Spanien ist nicht Kollers einziger Kandidat auf den WM-Thron. "Spanien, Brasilien, dann Deutschland, Argentinien", zählte der Zürcher weitere Anwärter auf. "Das ist wie immer bei so einem Turnier, dass dann Kleinigkeiten entscheiden. Ob du ein Tor machst, ob der Ball vielleicht einmal an die Stange geht und nicht ins Tor. Das kann man nicht alles vorhersagen, nicht alles planen."
Bei den Argentiniern, die zuletzt 1986 Weltmeister wurden, ortet Koller eine Abhängigkeit von FC-Barcelona-Aushängeschild Lionel Messi. "Der ist enorm wichtig für die, weil er extrem hohe Qualität hat. Ich glaube, wenn er auf dem Platz steht, dann weiß auch jeder andere: Jetzt sind wir noch einmal stärker", sagte Koller. Argentinien habe zwar auch andere namhafte Offensivspieler, aber "der schießt halt einfach auch Tore", hob er den Superstar hervor.
"Sind Kleinigkeiten, die entscheiden"
Bei Brasilien sieht Koller dieses Problem der großen Abhängigkeit von einem Einzelspieler weniger, wenngleich ihm die 1:7-Blamage gegen Deutschland im WM-Halbfinale 2014 noch in bildhafter Erinnerung ist. Topstar Neymar fehlte bei diesem Spiel wegen einer Rückenverletzung. "Das Problem war nicht, dass er nicht dabei war, sondern dass alle nur auf den gehofft haben. Die haben bei der Nationalhymne das Trikot hochgehalten, die Deutschen haben gleich losgelegt, und die waren alle in Gedanken noch beim Neymar", zeigte sich Koller irritiert. "Aber Brasilianer sind anders als Deutschland, Österreich, Schweiz."
An einen langen Turnier-Aufenthalt der Schweizer glaubt Koller im Übrigen nicht. "Also ich glaube schon, dass sie die Gruppenphase überstehen können. Aber sie haben natürlich mit Brasilien, mit Serbien und Costa Rica eine Gruppe, die ist auch nicht ohne", meinte der Ex-Nationalspieler über den Pool E. "Ich glaube, dass Serbien und die Schweiz dann um diesen zweiten Platz kämpfen werden, und hoffe natürlich, dass die Schweizer die Gruppenphase überstehen können."
Zu den spekulativen WM-Aussichten der österreichischen Mannschaft, hätte diese unter ihm die Qualifikation gemeistert, wollte er sich nicht konkret äußern. "Es sind Kleinigkeiten, die entscheiden: Kriegst du ein Standardtor? Musst du öffnen? Pfeift der Schiri zum Beispiel ein Abseits nicht? Es sind so viele Dinge, die du nicht planen kannst", meinte Koller, dessen Vertrag mit dem ÖFB im Herbst nicht mehr verlängert wurde. Nachsatz: "Aber es wäre natürlich schön gewesen, hätte das geklappt."