Ahornblätter setzen auf zwei Supertalente

Jungstars sollen Kanada zu Überraschung führen

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Kanada zählt zu den markantesten Außenseitern bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Für das nordamerikanische Land handelt es sich um die erst zweite WM-Teilnahme nach 1986, standen die Ahornblätter doch so gut wie immer im Schatten der regionalen Supermächte Mexiko und USA.

In der Qualifikation für Katar ließen "Les Rouges" im Sog von Alphonso Davies und Jonathan David hingegen beide hinter sich und großes Potenzial erkennen. Nur Ausrüster Nike dürfte das entgangen sein.

Der größte fußballerische Erfolg Kanadas abgesehen von der WM 1986 in Mexiko war bisher der Triumph beim CONCACAF Gold Cup im Jahr 2000. Damit schaffte es das Mutterland des Eishockey als erst dritte Nation neben den USA und Mexiko, diese "Mini-WM" für Nord-, Südamerika und die Karibik zu gewinnen. Aus einer quasi archaischen Vorzeit stammt die - von der FIFA nicht anerkannte - Olympia-Goldene bei den Sommerspielen 1904 in St. Louis.

Aufschwung dank zweier Jungstars

Der aktuelle Aufschwung verdankt sich nicht zuletzt dem Aufkommen zweier Talente, wie sie der Fußball in Kanada davor nicht erlebt hatte: Davies, mittlerweile 22, Bayern-München-Fixgröße auf der linken Seite, und David, 22, Offensivwaffe des OSC Lille. Davies wurde im ghanaischen Flüchtlingslager Buduburam geboren, seine Eltern hatten Liberia wegen des dortigen Bürgerkriegs verlassen. Als er fünf Jahre alt war, ließ sich die Familie in Kanada nieder. David kam in New York als Kind haitianischer Eltern auf die Welt, die Familie wanderte sechs Jahre später von Haiti nach Ottawa aus.

Die belastbaren Schultern der beiden Stars sind jene, die das Team tragen. In der entscheidenden dritten Quali-Phase der CONCACAF-Zone schoss Kanada mehr Tore (23) und erhielt weniger (sieben) als alle Konkurrenten. "Wir sind froh, dass wir uns nach einer sehr harten Reise für diese WM qualifiziert haben", sagte Davies, der 2021 als erster Kanadier überhaupt als CONCACAF-Spieler des Jahres ausgezeichnet wurde. Ziel in der Gruppe F mit Belgien, Kroatien und Marokko sei das Weiterkommen. Kanada müsse "einfach eine Mannschaft sein, gegen die es schwer ist zu spielen", meinte der Linksfuß.

Offensivere Rolle für Davies im Nationalteam

Im Team spielt Davies, der 2017 als 16-Jähriger für sein Land debütierte, tendenziell offensiver als beim Verein - meist gemeinsam mit David an vorderster Front oder knapp dahinter. In europäischen Ligen etabliert sind zudem etwa Torhüter Milan Borjan von Roter Stern in Belgrad, Stürmer Cyle Larin (FC Brügge), Verteidiger Steven Vitória (GD Chaves/POR) oder die Mittelfeldspieler Stephen Eustáquio (FC Porto) und Atiba Hutchinson (Besiktas), mit 39 Jahren die personifizierte Erfahrung. Die meisten Spieler stellen aber die beiden MLS-Clubs Toronto FC und CF Montreal.

Der Mann, der die Multikulti-Truppe geschmiedet hat, heißt John Herdman. Der Engländer ist seit 2018 Chefcoach der Männer und führte die "Canucks" bis auf Position 33 im FIFA-Ranking. Davor betreute der 47-Jährige Kanadas Frauen. In Katar wird Herdman zum weltweit ersten Trainer werden, der sowohl das Frauen- als auch das Männer-Nationalteam eines Landes bei einer Weltmeisterschaft gecoacht hat. "Wir können als Underdog dorthin kommen, wir können ohne Angst kommen", machte er seinen Spielern Mut.

Kanadier schauen bei Ausrüster durch die Finger

Ein Wermutstropfen für viele davon sowie für die wachsende Fan-Basis ist allerdings der Umstand, dass Sportartikel-Gigant Nike die historische WM-Teilnahme nicht entsprechend würdigt. Bekamen alle übrigen von Nike ausgerüsteten Nationalteams rechtzeitig vor der WM neue Dressen mit teils schnittigen Designs verpasst, muss Kanada in Katar mit der gleichen, eher eintönigen Wäsche einlaufen, die schon während der Qualifikation getragen wurde. Das Land sei "in einem anderen Trikot-Entwicklungszyklus", erklärte die US-Firma ihre textile Schaffenspause.

"Ich denke, jedes Team sollte ein neues Trikot für die Weltmeisterschaft bekommen, da es ein symbolisch wichtiges Event ist", ventilierte Linksverteidiger Sam Adekugbe seine Unzufriedenheit. Dass die Mannschaft gewillt ist, für ihre Standpunkte einzustehen, bewiesen schon mehrere Wickel mit dem Verband - unter anderem wegen der WM-Prämien. In diesem Fall soll die Trikot-Causa aber nur ein kleiner Störeffekt sein. Das Ziel ist klar: Aufstieg in die K.o.-Runde. Und sollte das nicht klappen, will man vier Jahre vor der Heim-WM zumindest besser abschneiden als 1986 in Mexiko. Da war für Kanada nach der Vorrunde Schluss - mit null Punkten und null Toren.
 

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