Karriere-Talk

Frivol & feminin: Ethel Merhaut betört mit alten Liedern

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„Here & There – Echos der Sehnsucht“ heißt die akustische Zeitreise von Ethel Merhaut, die der Musik der 1920/30er-Jahre neues Leben einhaucht. Das MADONNA-Gespräch über die Faszination alter Lieder und Zeiten – und die Sehnsucht nach purer Lebensfreude.

Herrlich weiblich! Unter diesem Motto tritt sie am nächsten Samstag, 26. April, in der Roten Bar des Wiener Volkstheaters auf. Herrlich weiblich ist auch das neue Programm von Sängerin Ethel Merhaut, die sich in „Here&There – Echos der Sehnsucht“ mit der Rolle von Frauen in der Musik und Literatur auseinandersetzt. Inspiration waren für die zweifache Mutter einmal mehr Lieder aus den 1920er- und 1930er-Jahren. 

MADONNA zu Gast bei Sängerin Ethel Merhaut.

MADONNA zu Gast bei Sängerin Ethel Merhaut.

© Chris Singer
× MADONNA zu Gast bei Sängerin Ethel Merhaut.

Sehnsucht nach Liebe, Spaß und einer besseren Zukunft

 „In einer Zeit, in der gesellschaftliche und politische Umbrüche die Welt aus den Fugen geraten lassen, werfen die Lieder einen reflektierenden Blick auf die Sehnsüchte nach Liebe, Geborgenheit, Spaß, Empathie und einer besseren Zukunft“, beschreibt Merhaut ihre musikalische Zeitreise. MADONNA besuchte die 36-Jährige in ihrer wunderschönen, wie auch sehr kreativen Wohnung am Wiener Augarten zum Interview über die Kraft der Kunst und das Bestreben, auch in schweren Zeiten die Hoffnung zu bewahren.

Das Album „Here&There“ ist im Februar erschienen. Termine und Infos unter www.ethelmerhaut.com  

Das Album „Here&There“ ist im Februar erschienen. Termine und Infos unter www.ethelmerhaut.com  

© Ethel Merhaut
× Das Album „Here&There“ ist im Februar erschienen. Termine und Infos unter www.ethelmerhaut.com  

"Ich habe mich in dem klassischen Genre nie ganz zu Hause gefühlt."

Wir durften Sie zu Hause in Ihrer schönen Altbauwohnung besuchen, in der man viel Kunst, viele Bücher, traumhafte Möbel findet – man spürt, dass Sie hier wahrlich zu Hause sind...
Ethel Merhaut: Ja, hier hat schon meine Großmutter gelebt und ich habe da meine Kindheit verbracht. Umso mehr liebe ich diese Wohnung. Wir haben zwar viel umgebaut, aber der Spirit meiner Oma ist immer noch da.

Sie arbeiten hier auch – könnte man sagen, dass Ihr Zuhause Ihr kreativer Kraftort ist?
Merhaut: Soweit das mit zwei kleinen Kindern möglich ist. (lacht) Aber ja, wenn sie nicht da sind, mache ich hier meine Pilatesübungen – oder ich sitze am Klavier und arbeite. Ich liebe es, zu Hause zu sein. Durch meinen Beruf bin ich ja auch viel unterwegs, in Hotels... da kommt einem allerlei unter (lacht), umso mehr liebe ich es dann, wieder zu Hause zu sein. Obwohl ich ehrlich sagen muss: Als zweifache Mutter genießt man manchmal auch die Ruhe im Hotelzimmer. Das ist dann ein bisschen wie Urlaub. (lacht)   

Ihr Zuhause spiegelt auch das musikalische Genre wider, dem Sie sich verschrieben haben. Wie haben Sie zu diesem gefunden? Gab einen Moment, in dem Sie wussten: in diese „Ecke“ möchte ich?
Merhaut: Das war kurz nach meinem klassischen Studium. Damals habe ich viel Klassik gesungen, aber das hat mich nicht ganz so gefreut. Es war, als wäre eine unsichtbare Wand zwischen mir und der Klassik. Ich habe gerne gesungen, mich in dem klassischen Genre aber nie ganz zu Hause gefühlt. Dann fing ich an mit Béla Korény (, dem legendären Wiener Musiker, Komponist und Besitzer der Broadway Bar, Anm.) zu arbeiten. Durch ihn entdeckte ich das Repertoire, das mich sofort in seinen Bann gezogen hat. Mit Béla trete ich bis heute immer wieder zusammen auf und er inspiriert mich jedes Mal aufs Neue. Dabei bleibe ich ja nicht rigide in der Musik der 20er- und 30er-Jahre, sondern es gibt da ja noch viel mehr zu entdecken. Viele Komponisten haben in den 1940er-, 50er-, 60er-Jahren auch noch geschrieben. Was ich an diesem Genre so liebe, ist, dass es zwar klassisch ist auf seine Art, den Nachhall des 19. Jahrhunderts noch spüren lässt, aber doch schon frisch und modern ist. Und vor allem auch lustig!  

„Zwischen der Klassik und mir stand förmlich eine unsichtbare Wand

„Zwischen der Klassik und mir stand förmlich eine unsichtbare Wand", erzählt die Chansonnière.

© Chris Singer
× „Zwischen der Klassik und mir stand förmlich eine unsichtbare Wand

Die Musik, mit der Sie sich auseinandersetzen, entstand in einer Zeit, die sehr schwierig war. Passt sie deshalb umso besser in unsere heutige Zeit?
Merhaut: Erschreckenderweise, ja. Ich glaube, wir haben heute – wie die Menschen damals – eine starke Sehnsucht nach mehr Freude und Ausgelassenheit. Wenn ich so um mich blicke, gelingt dies leider aber den Wenigsten derzeit so richtig.

Wonach haben Sie selbst am meisten Sehnsucht?
Merhaut: Nach einer inneren Ruhe, nach Momenten, in denen man völlig unbeschwert Spaß hat, und nach einem Drink, den man so richtig genießen kann. Einmal nicht gehetzt zu sein...

Was nicht einfach ist, wenn man Familie und Beruf unter einen Hut bringen muss. Wie gelingt Ihnen das?
Merhaut: Mal gut, mal schlecht. Wenn Kinder klein sind, ist das einfach sehr schwierig, aber es ist schaffbar, wenn man Hilfe von der Familie und vom Partner hat. Ich war ja nur einen Monat nach der Geburt wieder auf der Bühne. Weil es mir ein Anliegen war, sofort zurückzukommen. Ich respektiere aber auch alle, die sich Zeit lassen. Ich habe es halt irgendwie nicht geschafft und wollte auch nichts absagen. Den Spagat zu schaffen, erfordert jedenfalls viel Energie und Disziplin.

Haben die Kinder Ihre Kunst verändert?
Merhaut: Definitiv. Man entwickelt eine gewisse Tiefe, weil man extrem liebt und sich sorgt. Man wird viel verletzlicher, weil man ständig von seinem Beschützerinstinkt getrieben wird. Gleichzeitig sind einem bestimmte Dinge viel gleichgültiger als früher. Nicht der Anspruch an seine Kunst, aber vieles sieht man einfach viel gelassener.  

Mit Charme und weiblicher Moderne interpretiert Ethel Merhaut fast 100 Jahre alte Lieder. 

Mit Charme und weiblicher Moderne interpretiert Ethel Merhaut fast 100 Jahre alte Lieder. 

© Hilde van Mas
× Mit Charme und weiblicher Moderne interpretiert Ethel Merhaut fast 100 Jahre alte Lieder. 

"Frivolität lebe ich auf der Bühne aus" 

Als Künstler:in hat man es gerade in Österreich nicht immer einfach. Wie steinig war der Weg für Sie bisher? Wie schwer war es, sich einen Platz in der Musikszene zu erobern?
Merhaut: Das war schon ein steiniger Weg – und es ist bis heute kieselig. Es ist sehr herausfordernd, aber dafür auch spannend.

Existenzängste...?
Merhaut: ... hatte ich schon immer und werde ich wahrscheinlich auch immer haben. (lacht) Das ist bei mir genetisch.

Inwiefern haben Sie Ihre jüdischen Wurzeln geprägt – wie geht es Ihnen in einer Zeit, in der Antisemitismus an der Tagesordnung steht und rechte Politik immer stärkeren Aufwind bekommt?
Merhaut: Das prägt mich nicht nur, sondern ist Teil meines Lebens. So geht es auch all meinen Freunden. Wir haben sehr große Sorge, teilweise auch Angst. Das Schlimmste ist das Gefühl, dagegen wehrlos zu sein. Als ich jung war, hat man ganz selbstverständlich gesagt: Ich bin Jüdin und Österreicherin. Als ich jünger war, war das kein großes Ding. Heute muss man dazu immer öfter Stellung nehmen, weil Antisemitismus wieder ein so großes Thema ist. Das ist schrecklich.   

In Ihrer Musik geht es um Lebenslust – auch um Femininität, Frivolität. Welche Rollen spielen diese Lebenselemente für Sie?
Merhaut:
(lacht) Das ist etwas, das ich am besten auf der Bühne ausleben kann. Über die Rollenbilder von Marlene Dietrich, Greta Keller etc., die die ersten Frauen waren, die sich das Recht herausnahmen, mit Frivolität auf der Bühne zu spielen. Das fand ich immer sehr spannend, schließlich gibt es verschiedene Formen von Weiblichkeit. Und ich mag es, in diese unterschiedlichen Facetten zu schlüpfen.

Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Merhaut: Definitiv als sehr direkt. Ich bin sehr ehrlich, auf der Bühne sehr leidenschaftlich – und humorvoll. Ich bin keinesfalls hörig. Ich mag es nicht, wenn mir etwas von oben herab gesagt wird. Manch einer würde vielleicht sagen, ich bin rebellisch. Ich sage: Regeln sind für mich ein bisschen verschiebbar. (lacht)

Wie gehen Sie mit Kritik und Hate-Kommentaren im Netz um?
Merhaut: Wenn man klassischen Gesang studiert hat, ist man gewohnt, mit Kritik umzugehen. Das ist ein beinhartes Pflaster. Von Kritik kann man lernen. Ich nehme das Feedback von Menschen, denen ich vertraue, sehr ernst. Konstruktive Kritik ist sehr wichtig – im Gegensatz zu Hasskommentaren. Die verletzen mich manchmal, oft sind sie mir aber auch egal.  

Lesen Sie alle Kommentare oder gehen Sie auch regelmäßig offline?
Merhaut: Ich lese alles. Und gehe viel zu selten offline. (lacht) Ganz ehrlich, wir sind leider alle handyaddicted. Ich auch.

Mit Ihrer Musik entschwinden Sie sozusagen in eine andere Zeit. Würden Sie gerne in einer anderen Zeit leben?

Merhaut: Nein. Vielleicht sehne ich mich ein wenig nach der nicht digitalisierten Zeit. Umgekehrt haben wir dadurch auch enorme Vorteile. Ich sehne mich trotz allem nach keiner anderen Zeit, denn die Rechte, die wir Frauen heute haben, dass wir so frei sind wie noch nie, möchte ich nicht missen. Auch wenn die 1920er/1930er-Jahre modisch und musikalisch toll waren, möchte ich diese nur auf der Bühne wieder aufleben lassen. Und das tue ich ja ohnehin regelmäßig.

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