Feminismus und guter Sex gehören zusammen, ist die deutsche Sexkolumnistin Heike Kleen überzeugt. In ihrem neuen Buch „Zusammenkommen“ schreibt sie über Körperideale, Orgasmuslücken, Performancedruck und überholte Vorstellungen von Liebe. Das Interview.
Braucht jede Frau fünf Liebhaber und haben Männer ein Recht auf Sex? Killt Mutterschaft die Libido und wer sehnt sich nach Alphamännern? Können wir uns wirklich lieben, solange wir nicht gleichberechtigt sind? Und was passiert mit unserer Lust, wenn wir aus alten Rollenmustern ausbrechen? All diesen Fragen widmet sich die Journalistin Heike Kleen in ihrer beliebten Spiegel-Kolumne „Liebesleben“. Diese und die Reaktionen ihrer Leser:innen inspirierten die Autorin, die vom Swingerclub über Sextoys bis hin zum Tantra-Seminar auch vieles selbst ausprobiert, zu ihrem neuen Buch „Zusammenkommen“. Das MADONNA-Interview über Rollenbilder als Lustkiller.

Das buch „Zusammenkommen“ von Spiegel-Sex-Kolumnistin Heike Kleen ist soeben im Penguin Verlag um 16,50 Euro erschienen.
Frau Kleen, soeben ist Ihr neues Buch „Zusammenkommen“ erschienen. Was war denn konkret der Auslöser dafür, dieses zu schreiben?
Heike Kleen: Der Impuls kam durch meine Spiegel-Kolumne, die seit drei Jahren sehr erfolgreich läuft. Ursprünglich dachte ich, es sei eine Sexkolumne. Aber sie wurde mein trojanisches Pferd: Es steht Sex drauf, aber es steckt immer Feminismus drin: Themen wie Gleichberechtigung, neue Rollenbilder... Und trotzdem kommt die Kolumne sehr gut an. (lacht) Das zeigt mir: Sie ist wichtig. Schließlich erleben wir gerade eine Spaltung – viele Männer rücken politisch nach rechts, während junge Frauen liberaler sind. Frauen sind heute unabhängiger. Männer müssen gewollt werden, sie werden nicht mehr automatisch gebraucht. Das verändert viel. Und ich wünsche mir eben, dass wir wieder „zusammenkommen“.
Der Titel ist ja doppeldeutig. Warum ist Feminismus wichtig für guten Sex?
Kleen: Feminismus ist kein Lustkiller – im Gegenteil. Gleichberechtigung schafft Intimität auf Augenhöhe. Es geht darum, dass kein Machtgefälle herrscht, niemand abgewertet wird. Alte Rollenbilder wie „der Mann will immer, die Frau ist empfangend“ stehen echter Nähe im Weg. Wenn wir offen kommunizieren, entsteht echter, guter, gleichberechtigter Sex – der viel mehr sein kann als Penetration. Es geht um Begegnung, Nähe, Intimität.
Wann begann das Thema Feminismus eine so wichtige Rolle für Sie zu spielen – und auch guter Sex?
Kleen: Die Mutterschaft war ein Wendepunkt für mich: Mein Mann und ich gingen gleichberechtigt in den Kreißsaal – und kamen als 1950er-Jahre-Paar wieder raus. Ich wollte mich ums Kind kümmern, aber merkte auch: Vieles hatte ich so gelernt – wie eine gute Mutter zu sein hat. Ich stellte mir Fragen: Wie viel davon bin wirklich ich? Und wie viel Patriarchat steckt in meinem Bild von Mutterliebe? Das Thema Sexualität kam über mein erstes Buch, „Das Tage-Buch“, über die Menstruation. Damals traute ich mich noch nicht an das Thema Sex ran. Später – durch Recherchen, Gespräche mit Sexarbeiterinnen, Tantra-Massagen, Swingerclubs – kam der Mut. Aber ich bin immer noch eine Suchende, kann jedoch heute offen darüber sprechen – und das ist viel wert.
Wie hat Ihr Umfeld auf Ihre sehr offene Kolumne und Ihre Selbstversuche in Sachen Sex reagiert?
Kleen: Mein Mann ist tiefenentspannt. Wenn ich sage „Ich muss im Swingerclub recherchieren“, sagt er: „Na klar,mach das!“. Manchmal kommt er mit, zum Beispiel zur Tantra-Massage. Auch meine Familie reagiert gelassen. Mein Vater, der 79 ist, sagt nur: „Was hast du wieder im Spiegel veröffentlicht? Schick mal!“ Aber ich merke natürlich schon manchmal, dass Leute, die mich nicht so gut kennen, weniger entspannt reagieren. Oder auch gute Bekannte, die dann immer bei bestimmten Themen sagen: „Ja, da kennst du dich ja aus!“ oder „Ach, da kommt unsere Sextante“... Als Frau wird man noch immer schnell ins zwielichtige Eck gestellt, wenn man offen mit dem Thema Sexualität umgeht.
Warum ist das Thema Sex immer noch mit so viel Scham besetzt?
Kleen: Weil es so intim ist. Der Körper ist schon schambesetzt – Sexualität noch viel mehr. Dazu kommt die Erziehung: Mädchen hören: „Wasch dich da unten“, als hätte dieser Teil keinen Namen. Wie sollen sie später sagen, was sie wollen, wenn sie gelernt haben, sich nicht zu zeigen? Männer hadern auch: mit ihrem Penis, mit Vergleichen. Männer gleichzeitig haben auch immer noch so viele Probleme mit ihrem Penis. Ich habe mal eine Kolumne darüber geschrieben, dass wir Frauen uns eine Scheibe von den Männern abschneiden sollten, was den Stolz auf ihre Geschlechtsteile angeht. Dann schrieben mir ganz viele Männer: „Nein, so stolz sind wir nicht! Wir hadern ununterbrochen!“ Viele glauben, sie müssten immer können und ihr Penis speziell groß oder gerade sein – die haben also auch einen riesigen Druck!
Sie sind Mutter einer 11-jährigen Tochter und eines 16-jährigen Sohnes – versuchen Sie, in der Erziehung etwas anders zu machen?
Kleen: Ja, klar. Meine Kinder wachsen mit meiner Arbeit auf. Hier liegen ständig Sextoys und Bücher rum, die mir zugeschickt werden. Meine Tochter musste im Homeschooling unter meinem Sexbuchregal sitzen. Sie fragte mal: „Mama, warum steht überall ‘Sex’ mit x?“ Weil sie an die Zahl Sechs dachte. Ich rede offen mit meinen Kindern, auch mit Hilfe von altersgerechter Literatur. Sie sind beide feministisch geprägt, zeigen mir feministische Reels, schenken mir entsprechende Bücher. Meine Tochter ist kritischer gegenüber Jungs als mein Sohn gegenüber Mädchen. Sie beobachtet genau, wie Männer Frauen behandeln – und wehrt sich. Das konnte ich in ihrem Alter nicht.
Wird der öffentliche Diskurs über Sex aus Ihrer Sicht besser?
Kleen: Einerseits ja – und dann lese ich wieder die erschütternden Zahlen zu Femiziden und sexualisierter Gewalt. Genau das wollte ich ansprechen! Es ist wie ein Rückschritt, und das macht mich fassungslos. Meine Kinder lernen schon in der Grundschule: Ein „Nein-Gefühl“ bedeutet auch wirklich „nein“ – und dass sie das ausdrücken dürfen. Das finde ich so wichtig, und das verinnerlichen sie auch. Aber gleichzeitig erleben sie, gerade durch soziale Medien wie Instagram, einen enormen Druck: sich zu gefallen, einem Schönheitsideal zu entsprechen, um geliebt zu werden. Diese äußere Fassade wird überhöht. Das war in meiner eigenen Kindheit nicht so extrem. Und das zerstört so vieles. Und dann die Femizide: Sie zeigen, wie tief toxische Männlichkeitsbilder noch wirken. Männer tun oft so, als sei Liebe „Frauensache“. Aber wenn sie verlassen werden, rasten sie aus – weil sie eben doch nicht gelernt haben, mit Gefühlen umzugehen. Da brodelt etwas, das nie benannt oder verarbeitet wurde. Und das entlädt sich dann auf grausame Weise. Das macht mich wütend – und tieftraurig.
Was ist die zentrale Botschaft, die Sie mit Ihrem Buch „Zusammenkommen“ vermitteln möchten?
Kleen: Dass wir genau das tun: wieder zusammenkommen. Geschlechterübergreifend. Miteinander sprechen. Uns zuhören. Und aufhören, einander in starre Schubladen zu stecken: Die Frau ist so, der Mann ist so – diese patriarchalen Klischees müssen wir endlich hinter uns lassen. Wir sind Menschen. Punkt. Und wir sollten einander als solche begegnen. Nicht als „die Schlampe“ oder „der Loser“, sondern echt, verletzlich, offen. Der schönste Moment ist doch, wenn wir geliebt werden für unser wahres Selbst – nicht für eine Maske oder Rolle, die wir uns angewöhnt haben. Und ich wünsche mir, dass all die guten Männer, die es ja gibt, mutiger und lauter werden. Dass sie sich an unsere Seite stellen – gegen die Rückschläge, die wir aktuell erleben. Dieses aufbäumende Patriarchat, mit Figuren wie Trump, Putin oder anderen autoritären Stimmen, darf nicht gewinnen. Ich will, dass wir diesen alten Geist hinter uns lassen – und gemeinsam etwas Neues schaffen.