Kunstwerk Mensch

Diese Frau steckt hinter der aufsehenerregenden "Körperwelten"-Schau

Körper als Spiegelbilder unserer heutigen Lebensweise zeigt die aktuelle „Körperwelten“-Ausstellung in Wien. Die Kuratorin der legendären Plastinate-Schau, Dr. Angelina Whalley, im Interview.  

Die Wiener Stadthalle verwandelte sich in dieser Woche in „Körperwelten“, eine der polarisierendsten Ausstellungen weltweit, zeigt sie doch menschliche Körper, die einem einzigartigen, von dem deutschen Anatomen Gunther von Hagens entwickelten Plastinationsverfahren unterzogen wurden. Das Ergebnis sind erstaunliche Exponate, die – im Wortsinn – Einblick in die menschliche Anatomie gewähren.

Für die Ewigkeit: Menschliche Körper werden in einem von Gunther von Hagens entwickelten Verfahren plastiniert. 

Für die Ewigkeit: Menschliche Körper werden in einem von Gunther von Hagens entwickelten Verfahren plastiniert. 

© Dirk Laessig

Die Mit-Erfinderin im Interview 

Bis 22. März können Besucher:innen in die neueste Edition „Am Puls der Zeit“ eintauchen. Welche Impulse sie setzen will und welche Debatten sie begleitet haben, darüber spricht Kuratorin und Gunther von Hagens Ehefrau, Dr. Angelina Whalley, in MADONNA. 

Kuratorin Dr. Angelina Whalley rief vor 30 Jahren mit ihrem Ehemann „Körperwelten“ ins Leben. 

Kuratorin Dr. Angelina Whalley rief vor 30 Jahren mit ihrem Ehemann „Körperwelten“ ins Leben. 

© Körperwelten

Die Ausstellung sorgte weltweit für Debatten und Kritik 

Seit 21. November kann man in der Wiener Stadthalle wieder in Ihre Körperwelten eintauchen. Was erwartet die Besucher:innen?
Dr. Angelina Whalley:
Die neue Ausstellung in Wien heißt „Am Puls der Zeit“. Es geht darin um die Beschleunigung unseres modernen Lebens – und darum, was sie mit unserem Körper macht. Wir haben alles um uns herum schneller gemacht, nur unser Körper lässt sich nicht beschleunigen. Die Ausstellung bietet inmitten der digitalen Dauerablenkung einen seltenen Moment des Innehaltens und Reflektierens. Wir wollen zeigen: Der Körper ist der Spiegel unserer Lebensführung – egal ob Ernährung, Bewegung, Stress oder soziale Faktoren. Alles wirkt auf uns zurück.

Gab es bei der Entwicklung der neuen Plastinate für diese Edition Überraschungen für Sie oder Ihr Team?
Whalley: Als Ärztin überrascht mich ein präparierter Körper nicht mehr wirklich – ich habe im Laufe der Zeit sehr viel gesehen. Aber die Bewusstmachung der Lebensbeschleunigung hat mich persönlich beschäftigt.

Kommen wir zurück zu den Anfängen. Wie kamen Sie zu den Körperwelten?
Whalley: Ich habe die Körperwelten von Anfang an mitkonzipiert. Ich war ursprünglich auf dem Weg, Chirurgin zu werden, und wollte für ein Jahr in die Anatomie – dort lernte ich meinen Mann Gunther von Hagens kennen. Er trug damals den Wunsch in sich, in die USA auszuwandern. Ich wollte jedoch nicht mitgehen. Wir schlossen so etwas wie einen „Kuhhandel“: Er bleibt in Deutschland, und ich gehe dafür nicht in die Chirurgie, sondern arbeite mit ihm in der Plastination.

Mein Schwerpunkt war von Beginn an die inhaltliche Konzeption – also Themen, Gestaltung der Ausstellung, Begleittexte. Gunther hat sich um die Plastinate gekümmert. Aber es war unser gemeinsames Projekt.

Der Mediziner und Anatom 
Dr. Gunther von Hagens (80) erfand das Verfahren und musste viele Debatten führen.  

Der Mediziner und Anatom 
Dr. Gunther von Hagens (80) erfand das Verfahren und musste viele Debatten führen.  

© Körperwelten
 

Die Reaktionen waren enorm – positiv, wie auch kritisch. Wie haben Sie das erlebt?
Whalley: Unsere erste Ausstellung fand in Japan statt. Statt erhofften 150.000 Besucher:innen kamen 450.000! Und dort war eine Frau, die uns erzählte, dass sie sich Zeit ihres Lebens nutzlos gefühlt hatte. Dass sie sogar versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Dann sagte sie: „Jetzt, wo ich sehe, wie wunderbar und fragil der Körper ist, habe ich das Gefühl, etwas Wertvolles in mir zu tragen. Ich werde das nie wieder tun.“ Solche Momente zeigen uns, welche Kraft die Ausstellung haben kann. Genau das hat uns ermutigt, weiterzumachen.  

In der Wiener stadthalle gastieren bis März die einzigartigen Plastinate der „Körperwelten“ unter dem Titel „Am Puls der Zeit“. 

In der Wiener stadthalle gastieren bis März die einzigartigen Plastinate der „Körperwelten“ unter dem Titel „Am Puls der Zeit“. 

© Philipp Lipiarski

"Uns wurde Leichenschändung vorgeworfen..."

Als die Ausstellung nach Europa kam, sorgte diese aber auch für herbe Kritik...
Whalley: Vieles war damals gesetzlich schlicht nicht geregelt. Wir mussten über Jahre hinweg zahlreiche Gerichtsprozesse führen. Am Ende wurde bestätigt, dass unser Institut dieselben Funktionen erfüllt wie ein anatomisches Institut – und damit auch Körperspenden annehmen und für die Lehre nutzen darf. Die ethische Debatte war intensiv. Uns wurde Leichenschändung vorgeworfen oder dass wir menschliche Überreste „zu Kunst degradieren“. Das war eine schwere Zeit.

Aber die positiven Rückmeldungen der Besucher:innen haben uns getragen. Und ich muss dazusagen: Diese heftige Debatte in der Öffentlichkeit hat mein Mann ausgetragen, wenn ich das damals allein hätte machen müssen, hätte ich das nicht geschafft.

Sie haben seit 30 Jahren täglich den Tod förmlich vor Augen. Was hat das mit Ihrer Sicht auf Leben und Sterben gemacht?
Whalley: Unsere Arbeit hat mich demütig gemacht. Allein die Tatsache, dass wir existieren, ist ein unglaublicher Zufall. Dass wir gesund sind, dass wir leben dürfen, reisen können, einen freien Willen haben – all das ist ein Geschenk. Über meinen eigenen Tod denke ich kaum nach. Solange man gesund ist, bleibt er ja doch irgendwie abstrakt.  

"Körperwelten" zeigt Plastinate in sämtlichen Lebenslagen...

© Philipp Lipiarski

Vermächtnis für die Ewigkeit

Sie haben nun die öffentliche Rolle Ihres Ehemannes übernommen. Was planen Sie als Kuratorin für die Zukunft der Körperwelten?
Whalley:
Ich arbeite weiterhin an neuen Themen. Ein aktuelles Arbeitsthema trägt den vorläufigen Titel „Adam und Eva“ – es soll sich mit Geschlechtern, Hormonen und den körperlichen Unterschieden befassen. Dazu gehört auch der Bereich der Transidentität. Wir haben kürzlich beispielsweise eine Person plastiniert, die von Mann zu Frau operiert wurde.

Ist Ihre Arbeit ein Vermächtnis für die Ewigkeit?

Whalley: Ich bin davon überzeugt, dass die Idee der Körperwelten über mein persönliches Leben hinausgehen wird. Aber was ist in dieser Welt für ewig? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist der menschliche Körper ein universelles Thema und ich kann mir nicht vorstellen, dass
man in 100, 200, 300 Jahren kein Interesse mehr daran haben wird.

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